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0062 - Guru der Toten

0062 - Guru der Toten

Titel: 0062 - Guru der Toten
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Abend! Dienstschluß! Was läßt sich damit nicht alles anfangen, wenn man jung und knusprig ist.
    Und wie wenig kann man damit anfangen, wenn man Oberinspektor bei Scotland Yard ist… Seufzend saß ich in meinem silberfarbenen Bentley. Der Wagen ist so ziemlich der einzige Luxus, den ich mir leiste.
    Ansonsten könnte man sagen, daß ich beispielgebend auf dem Teppich bleibe – wie es sich für einen Yard-Beamten eben geziemt.
    Wieder entrang sich mir ein tiefer Seufzer. Wie gern hätte ich meine Freundin Jane Collins angerufen und der Welt gemeinsam mit ihr ein Loch geschlagen. Aber da die Pflicht bei mir immer Vorrang hat, war nichts aus dem Anruf und einem darauffolgenden vergnüglichen Abend geworden.
    Statt dessen befand ich mich auf dem Weg zum St. George Hospital, weil dort etwas geschehen war, was den meisten Menschen einen kalten Schauer über den Rücken jagt, wenn sie bloß davon hören: eine Leiche war von den Toten wiederauferstanden…
    Ich erreichte das Krankenhaus. Viel Glas. Viel Stahl. Viel Beton. Äußerst nüchtern. Ein reiner Zweckbau.
    Ich ließ den Bentley auf dem Parkplatz für Besucher ausrollen und faltete mich sodann aus dem Wagen.
    Obwohl wir Anfang Mai hatten, fröstelte ich. Der Winter war noch einmal zurückgekehrt und zeigte uns grimmig seine Zähne, aber wir alle konnten sicher sein, daß er in ein paar Tagen schon der große Verlierer sein würde.
    Ein Winter im Mai hatte sich bei uns noch niemals lange halten können.
    Ich betrat das Krankenhaus durch das breite Glasportal.
    »Wohin?« fragte mich der Portier, ein Mann mit dicken Tränensäcken und wulstigen Lippen.
    Ich zückte meinen Dienstausweis und hielt ihn dem Mann hin.
    »Ich bin Oberinspektor Sinclair von Scotland Yard«, sagte ich. »Ich möchte zu Dr. Lorne Pleshette.«
    Der Portier hatte nichts dagegen. Er kam aus seinem Glaskasten und sagte mir, welcher Weg der kürzeste zum Büro des Chefarztes war.
    Ich fuhr mit dem Lift zur dritten Etage hoch. Wenig später klopfte ich an eine weiße Tür, an der Dr. Pleshettes Name stand.
    »Herein!« rief eine kräftige Stimme.
    Ich öffnete die Tür. Dr. Lorne Pleshette, groß, breit, mit eisengrauem Haar, kam mir mit finsterer Miene entgegen. Er sah aus wie ein Metzger, und doch wußte ich von ihm, daß er einer der besten Ärzte war, die es in London gab.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie so schnell gekommen sind«, sagte er, während er mir die Hand gab.
    »Wie geht es dem Pfleger?« fragte ich. Ich wußte, daß der Mann einen schweren Schock erlitten hatte.
    Pleshette kräuselte die Nase und schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Nicht gut.«
    »Ist er ansprechbar?«
    »Nur zeitweise. Es nimmt mich nicht wunder. Wenn man bedenkt, plötzlich erhebt sich einer der Toten… Wer da nicht erschrickt, der hat Nerven wie Stahlseile.«
    »Kann es sein, daß der Mann, der von den Toten auferstanden ist, lediglich scheintot war?« fragte ich.
    »Normalerweise wäre so etwas natürlich denkbar. Es kommt hin und wieder mal vor, daß ein Mensch für tot erklärt wird und später wieder erwacht, doch in diesem Fall ist das ausgeschlossen.«
    »Wieso?« wollte ich wissen.
    »Der Mann, um den es hier geht, heißt Chump Geezer. Es grenzte an ein Wunder, daß er überhaupt noch lebte, als man ihn zu uns brachte.«
    »Was war los mit ihm?«
    »Jemand hat ihn mit einem Beil getötet. Wir haben alles versucht, um ihn durchzubringen, doch wir kämpften um sein Leben auf verlorenem Posten.«
    »Chump Geezer wurde also ermordet.«
    »Ja«, sagte Lorne Pleshette.
    »Weiß man, von wem?« erkundigte ich mich.
    Der Chefarzt hob die Schultern. »Es heißt, daß Geezers Ehe nicht glücklich war. Geezers Frau Mo soll ein Verhältnis mit einem gewissen Clips Gazzarra haben. Chump Geezer war den beiden im Weg. Aber es wäre falsch, Clips Gazzarra für den Täter zu halten. Soviel mir bekannt ist, hat er für die Tatzeit ein einwandfreies Alibi.«
    »Darf ich jetzt den Pfleger sehen?«
    Lorne Pleshette nickte. Er bat mich, mitzukommen. Wir fuhren mit dem Aufzug zum zweiten Stock hinunter und betraten kurz darauf ein Krankenzimmer, in dem nur ein einziges Bett stand.
    Der Anblick von Harvey Wyner erschreckte mich. Furcht und Grauen verzerrten seine bleichen Züge.
    Sein Gesicht war schweißbedeckt. Eine Krankenschwester war bei ihm, doch sie konnte nicht viel für ihn tun.
    Das blonde Mädchen blickte den Chefarzt an und sagte: »Vor wenigen Augenblicken war er ganz kurz klar. Jetzt fantasiert er wieder.«
    Harvey
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