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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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zermürbte Anna, die Hitze glühte sie aus, sie wurde mager in diesen Tagen und so gebräunt, bis tief in den Nacken hinein und über die Arme hin, wie sie es bisher nie gewesen war.
    Nie aber kam ein Wort der Klage aus ihrem Mund. Die Rudererleute konnten sich gar nicht genug wundern, so ein Glück gehabt zu haben, und ringsum blühte der Neid bei diesem allgemeinen Mangel an Leuten. Darum legten Bauer und Bäuerin es nie darauf an, in ihr nur die Magd des Hofes zu sehen, sondern zogen sie bewusst hinein in ihren familiären Kreis, hielten sie wie eine Tochter des Hauses, so dass Anna eigentlich nie das Gefühl hätte haben dürfen, in der Fremde zu sein.
    Die Plage des Sommers ging vorüber. Es kam ein Herbst mit viel Regen, und als es ein Jahr her war, dass Anna die Heimat verlassen hatte, fragte Balthasar Ruderer sie beinahe ängstlich, ob sie ein weiteres Jahr bleiben möchte.
    Anna sah ihn erstaunt an. In diesem Augenblick merkte sie erst, wie sehr sie sich in diesen Kreis eingelebt hatte und wie tief sie mit diesen Leuten, besonders mit dem Mädchen Margret, verbunden war.
    »Seh ich vielleicht aus wie eine, die jedes Jahr den Platz wechseln möchte?«, fragte sie.
    »Nein, das nicht. Aber ich weiß, dass dir der Turnsteiner auch ein Angebot gemacht hat.«
    »Am letzten Sonntag, als ich von der Frühmesse heimging, fing mich einer auf dem Weg ab. Ich weiß nicht, ob das der Turnsteiner war.«
    »Ja, der war es. Und er hat dir viel geboten. Daran soll es aber nicht liegen. Das kannst du bei uns auch haben.«
    »Reden wir nicht lang, Bauer. Ich bleibe bei euch, weil es mir hier gefällt.«
    Sie standen bei diesem Gespräch im Stall, hinter einer Kuh, die kalben sollte. Der Ruderer strich sich mit zwei Fingern über die Bartbürste. Dann sagte er: »Es ging mir was ab, wenn du auf einmal nicht mehr da wärst.«
    Anna nahm die Gabel und richtete die Streu hinter der Kuh. »Ich glaub, dass sie vor dem Abend nicht kalben wird.«
    Eine leichte Röte huschte über seine Stirn. Hatte sie ihn denn nicht verstanden? Er fasste nach ihrem Arm. »Das weißt du gar nicht, was mir abging, wenn du nicht mehr da wärst.«
    Langsam machte Anna ihren Arm frei und lehnte die Gabel an die Mauer. Dann verschränkte sie die Arme über der Brust und sah ihn aus schmalen Augen an. »Was soll denn dir schon abgehen? Du hast alles, was zum Glück gehört. Einen schönen Besitz, eine herzensgute Frau und zwei liebe Kinder.«
    »Ja, ist ja recht«, gab er zögernd zu. »Aber manchmal, wenn ich dich so ansehe…«
    Anna unterbrach ihn sofort mit einer Schroffheit, die ihn erschreckte. »Das, was du dir jetzt denkst, ist eine große Gemeinheit gegenüber deiner lieben Frau. Wenn du aber meinst, du könntest dir solche Dummheiten nicht aus dem Kopf schlagen, dann müsste ich gehen, und zwar auf der Stelle.«
    »So hab ich’s doch nicht gemeint«, entfuhr es ihm. Dunkle Röte übergoss sein ganzes Gesicht bis in den Hals hinein. Er schluckte und fand nicht die rechten Worte. Zerknirscht und beschämt stand er vor ihr.
    »Was musst du bloß von mir denken, Anna.«
    »Gar nichts.«
    »Sag ihr nichts, Anna.«
    Fast mitleidig sah sie ihn an. »Als ob ich der Bäuerin weh tun könnte.«
    »Jetzt weiß ich, wie ich dran bin«, seufzte er wie erlöst auf.
    »Merk dir das nur recht gut, Bauer. Dann bleib ich gern auf deinem Hof.«
    Und er merkte es sich. Nie wieder ließ er Anna gegenüber ein verfängliches Wort fallen.
    So gingen die Tage in den Advent hinein, und ehe man sich’s recht versah, meldete sich auch schon wieder der Frühling an.
    Man hörte um diese Zeit, dass bald eine Währungsreform käme. Anna hatte sich nie viele Gedanken um Geld gemacht, aber sie merkte es am Gespräch anderer, an ihren sorgenvollen Mienen und ihrer Geringschätzigkeit, dass sie von der gegenwärtigen Währung nicht mehr viel hielten.
    Einmal hörte sie, dass man für eine Schachtel Zigaretten auf dem schwarzen Markt bis zu hundert Mark bezahle. Das jagte ihr einen ungeheuren Schrecken ein. Sie lag die ganze Nacht schlaflos, während die kleine Margret im anderen Bett sorglos und noch unberührt von den Wirrnissen der Zeit tief schlafen konnte.
    Sie rechnete hin und rechnete her und kam immer wieder nur zu dem traurigen Ergebnis, dass sie für ihr ganzes Erbteil nur dreihundert Schachteln Zigaretten zu zwanzig Stück bekommen würde.
    Es konnte doch nicht möglich sein, dass ihr Erbteil so an Wert verlieren sollte. Und Matthias hatte den schönen Hof im Goldenen
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