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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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    Er schrieb den Brief auch am nachfolgenden Sonntag. Aber die Burgl beantwortete ihn nicht. Sie sagte auch dem Lastwagenfahrer nichts, der sich eines Tages bis in ihren Waldwinkel durchgefragt hatte und die zwei Koffer abholte.
    Dieser erste Sonntag aber, den Anna fort war, verunsicherte jemanden in Blockstein. Er stand während des Hochamtes hinter der Säule unter der Empore wie jeden Sonntag. Aber der Platz da vorn unter dem Predigtstuhl blieb heute leer.
    Dem Thomas Staffner war eigentümlich zumute. Dieser sonntägliche Anblick von Annas schönem Nacken, über dem das blonde Haar leuchtete, war immer wie ein Sonnenleuchten durch ihn hindurch gegangen. Ist sie vielleicht krank?, dachte er. Seit Anna von der Alm wieder zurück war, hatte sie keinen Sonntag gefehlt.
    Erst als er sie auch im Laufe der Woche vom kleinen Fenster des Sägestüberls aus, von wo man so schön in den Goldenen Grund sehen konnte, auch nirgends sah, überkam ihn so etwas wie Unruhe. Mit dieser Unruhe ging er am nächsten Sonntag wieder zum Hochamt. Und wieder war der Kirchenstuhl leer.
    Nach dem Hochamt schaute er sich fast die Augen aus. Auf der verschneiten Grat des Gasthauses »Zu den vier Aposteln« standen wie jeden Sonntag die Burschen beisammen. Da sah er den Blasius, den Knecht vom Grundhofer. Langsam schlängelte sich Thomas an ihn heran.
    »Guten Morgen, Blasi.«
    »Grüß dich, Thomas.«
    »Ist auf einmal Winter geworden jetzt, was?«
    »Ist ja nicht mehr zu früh«, meinte Blasius, den es ein wenig wunderte, dass Thomas Staffner seine Gesellschaft suchte.
    »Habt ihr ’s Holzarbeiten schon angefangen?«, fragte Thomas weiter um den heißen Brei herum.
    »Nein, nächste Woche soll es losgehen.«
    Thomas grübelte krampfhaft, was er nun weiter fragen solle. »Bleibst du zu Lichtmess wieder im Goldenen Grund?«
    » Ja .«
    »Und – « Thomas schob einen Schneebatzen mit dem Schuh weg.
    »Was und?«, fragte Blasius.
    »Der Anna geht es immer gut?«
    »Die Anna ist fort.«
    »Fort?«
    »Ja, leider.«
    »Wohin denn?«
    »Weiß ich nicht. Nein, Thomas, weiß ich wirklich nicht.«
    In diesem Augenblick kam der Postbote mit einer Handvoll Briefe aus der Agentur und verteilte sie wie jeden Sonntag, weil ihm dann am Montag vielleicht der weite Weg zu den Einöden erspart blieb.
    »Für euch hab ich was«, sagte er und reichte dem Blasius einen Brief. »Für Fräulein Anna Rauscher. Gibst ihr den Brief, gelt.«
    Es war ein Brief mit ausländischen Marken.
    »Wo wird denn der her sein?«, sinnierte Blasius.
    »Lass sehen«, drängte Thomas, besah sich die Marken und drehte den Brief um. Dann verfärbte sich sein Gesicht, als er den Absender las: »Oliver Pratt, Philadelphia, 143. Street.«
    Er gab den Brief zurück und ging davon. Es begann wieder leicht zu schneien. Thomas Staffner schlug den Jackenkragen hoch und zog die Schultern ein wenig ein, so, als habe ihn soeben jemand ins Genick geschlagen.
    Dem Matthias Rauscher riss es die Augendeckel hoch, als Blasius ihm den Brief aushändigte.
    »Du wirst ja wissen, wo sie steckt, die Anna«, sagte Blasius. »Dann kannst ihr den Brief ja nachschicken.«
    »Nachschicken? Freilich schick ich ihn ihr nach«, lächelte Matthias mit dünnen Lippen und ging mit dem Brief in die Küche zur Cilli.
    Zusammen lasen sie dann, was Oliver Pratt der Anna Rauscher auf vier eng beschriebenen Seiten zu sagen hatte, dass man ihn damals, nach kurzem Lazarettaufenthalt, an die Pazifikfront beordert habe. Vor kurzem erst sei er aus Tokio zurückgekommen und nun nehme er die erste Möglichkeit einer Postverbindung wahr, um ihr zu sagen, dass er sie nicht vergessen habe und sie immer noch liebe wie damals. Mehr vielleicht noch und dazu komme nun auch noch seine grenzenlose Sehnsucht nach ihr. Er hoffe inständig, dass auch sie ihn in ihrem Herzen bewahrt habe. Er bitte sie dringendst, noch Geduld zu haben. Noch gäbe es keine Möglichkeit für ihn, nach Europa zu fahren. Es könne vielleicht noch zwei oder drei Jahre dauern. Trotzdem bitte er sie, auf ihn zu warten. Mit seinen Eltern habe er bereits gesprochen. Sie würden sich von Herzen freuen, das Mädchen, das ihm so tapfer das Leben gerettet habe, in ihr Herz schließen zu können. Zum Schluss hieß es noch: »Alles, was du jetzt noch haben musst, Engel, ist Geduld. Ich bitte dich, schreib mir, sobald du meinen Brief erhalten hast. Und bereite Deine Eltern vor, denn ich werde nicht ohne dich zurückkehren, weil ich mir mein Leben nicht mehr ohne
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