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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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den Draht von der Kreisstadt her spielen ließen und sich zum Forellenessen anmeldeten. Diese Herren tranken dann auf den Sieg und hatten blank gewichste Schaftstiefel an.
    Hier unter der Haselnussstaude hatte niemand blank gewichste Stiefel an, sondern derbe Lederschuhe, an denen Erde klebte. Die Emma hatte bloß Holzpantoffeln an. Man aß auch keine Forellen zur Brotzeit, sondern nur trockenes Brot. Dazu tranken alle bitter schmeckendes Dünnbier.
     
    Der Wind kam lau aus dem Goldenen Grund, der seinen Namen von einer Sage herleitete, wonach dort hinten ein goldener Sarg mit einem erschlagenen Abt vor vielen hundert Jahren tief in der Erde vergraben worden sei. Aber es war noch keinem vergönnt gewesen, auf diesen Sarg zu stoßen, obwohl sie zuweilen nach ihm gegraben hatten, heimlich oder offen. Zuletzt der junge Matthias Rauscher, bevor man ihn, ein halbes Kind noch, zu den Soldaten geholt hatte.
    Schweigend saßen sie im Halbkreis beisammen. Es war eine stille Stunde und jeder hing seinen Gedanken nach, die bitter waren und manchmal weit abschweiften, bis sie doch wieder hier zusammenströmten im Schatten der Haselnussbüsche. Es war, als hielte ein stählerner Ring sie alle umklammert. Niemand konnte aus diesem Kreis ausbrechen. Jean und André konnten nicht nach Westen gehen und Natascha nicht nach Osten. Sie konnten höchstens die Köpfe heben und lauschen, ob der Klang der Freiheit nicht schon in den Lüften rausche. Und sie konnten auf ihre Herzen horchen, ob sie schneller schlugen bei dem Gedanken, dass mit jedem Tag die Freiheit näherkam, obwohl auch das niemand auszusprechen wagte, weil es ein Verbrechen war, am Endsieg zu zweifeln.
     
    Peter Rauscher dachte an seinen Sohn Matthias, der im Westen stand, und Anna schickte ihre Gedanken nach Bingen am Rhein, von wo sie aus einem Lazarett vor vier Wochen eine Nachricht von Thomas Staffner erhalten hatte. Vielleicht lebte er schon nicht mehr. Vielleicht war er gestern an seiner schweren Verwundung gestorben. Gestern oder heute Morgen oder gerade jetzt, in diesem Moment. Sie sah sein ernstes, gutmütiges Gesicht vor sich und dachte, dass es für alle schwer sein würde, wenn er nicht mehr käme. Schwer für seine alten Eltern, schwer auch für sie, denn sie war diesem ruhigen, gesetzten Menschen recht zugetan. Nein, es war keine flammende, verzehrende Liebe, nur ein stilles Gefühl von Geborgensein in seiner Nähe. Anna Rauscher war viel zu herb und zu kühl in ihrem Wesen für eine tiefe Leidenschaft. Oder es war noch nicht der Richtige gekommen. Sie wusste, dass ihre Eltern es gerne sähen, wenn sie Sägemüllerin würde. Dagegen hatte sich immer etwas in ihr aufgelehnt und manchmal war sogar etwas wie eine zornige Abneigung über sie gekommen, weil Thomas Staffner es wie eine Selbstverständlichkeit hinnahm, was seine Eltern über ihn beschlossen haben mochten.
    »Der Vater und die Mutter sind halt der Meinung«, hatte er einmal gesagt, »dass du gut in die Sägemühle passen würdest.«
    »So?«, hatte sie gefragt und ihn mit schmalen Augen angesehen. »Und deine Meinung? Wie ist die?«
    Ganz verwundert hatte er sie angesehen. »Das musst du doch wissen, dass ich dich für mein Leben gern hab.«
    Ich merke nichts davon, hatte sie sagen wollen. Aber sie verschwieg es und wartete, dass er sie in die Arme nähme. Aber er hatte nicht den Mut dazu. Diesen groß gewachsenen Menschen fiel eher ein leichtes Zittern an, hinter dem sich seine ganze Scheu verbarg, als dass er sie leidenschaftlich umarmt und geküsst hätte. O ja, Anna Rauscher sehnte sich oftmals unsagbar danach, begehrt zu werden, fortgetragen zu werden von einer hohen Welle des Glücks. Und weil Thomas dies nicht verstand, war sie ihm immer ferner gerückt, bis zu dem Tag, an dem er in den Krieg musste.
    Unterm Halbmond hatten sie an der leise rauschenden Riss gestanden und es war wohl das Mitleid, das sie zwang, sein Gesicht mit ihren Händen zu umschließen, um die ungeheure Traurigkeit aus ihm fortzunehmen.
    »Bleibst mir treu, Anna?«, hatte er gefragt.
    Sie hatte genickt, weil sie nicht wusste, was Untreue ist, und weil sie dachte, dass es ihm das Fortgehen etwas erleichtere. Das andere war jetzt sowieso nicht mehr spruchreif. Erst musste der Krieg vorbei sein.
    »Komm nur gesund wieder heim«, sagte sie und sie war froh vor sich selber, dass dieser Wunsch ihr aus ehrlichem Herzen kam. Thomas aber nahm es als Versprechen, dass sie voller Sehnsucht auf ihn warten werde. Mit diesem Glauben
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