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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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Nacht so um zwei Uhr herum eine Sau plärren hören. Wenn mich nicht alles täuscht, war das im Goldenen Grund. Aha, jetzt schießt dir die Farbe ab. Also, nur nicht gar so großmaulig sein. Es kostet mich nämlich bloß ein Wort.«
    »Und Beweise«, sagte der Rauscher mit engem Atem.
    »Die lassen sich finden.«
    Der Rauscher konnte nichts mehr antworten. Es war die Furcht, die ihn schweigen ließ, die Furcht eines Mannes, der in seinem ganzen Leben nie Angst gehabt hatte. Er schämte sich vor Anna, vor den Franzosen, vor der Polin und vor Emma. In diesem Augenblick trat Anna zwischen ihn und Urban Loferer. In ihren Augen glühte eine dunkle Flamme.
    »Und das muss mein Vater sich von dir gefallen lassen«, schrie sie, lodernd vor Zorn. »Wer bist denn du schon? Ein hergelaufener Kerl, ein Spion, ein Schleicher, einer, der dem Herrgott den Tag stiehlt, während andere in deinem Alter im Krieg fallen.«
    »Anna«, sagte der Rauscher warnend.
    »Ach was, lass mich Vater. Ich könnte keine Stund ruhig schlafen heute Nacht, wenn ich dem die Meinung nicht einmal sagen könnte. Das brennt mir schon lange auf der Zunge. Regt der Kerl sich auf, wenn wir hier gemeinsam bei der Brotzeit sitzen. Du hast dir ja noch keine verdient. Was tust denn du schon? Umeinanderschleichen und anständige Leute aushorchen.«
    Loferer war grau geworden im Gesicht. »Noch ein Wort, dann…«
    »Dir sag ich noch mehr, wenn du es haben willst. Aber die Zeit ist zu schade, um sie mit dir zu verschwenden. Kommt Leute, wir müssen Kartoffeln legen.«
    Mit schmalen Augen starrte der Schleicher hinter der Gruppe her.
    »Wart nur, das zahl ich dir heim, du hochmütiges Luder. Auf den Knien sollst du mich noch bitten. Aber dann zeig ich dir, wer wem was zu sagen hat.«
    Den Hut aus der Stirn schiebend, stelzte er mit seinen dürren Beinen über die Wiesen hinunter ins Dorf, blieb eine Weile auf der hölzernen Brücke stehen, die über die Riss führte, und suchte dann sein Stübchen auf.
    Am Nachmittag dieses Tages ging der Rauscher auf seine Niederalm, die auf der anderen Seite der Riss in einer breiten Mulde im Fichtenwald lag. Das Futter war in diesem Jahr schon sehr knapp geworden, und wenn da oben schon einigermaßen Gras gewachsen war, dann sollte Anna gleich in den nächsten Tagen mit einem Teil der Herde hinaufziehen.
    In seinem Innern loderte immer noch die Wut über die Auseinandersetzung mit dem Schleicher am Vormittag. Die Wut und die Ohnmacht darüber, dass man in dieser Zeit wie ein lästiger Wurm zertreten werden konnte, wenn man sich mit den Mächtigen auf Auseinandersetzungen einließ. Er selber hatte sich ja mühsam beherrscht. Aber Anna war aus dem Rahmen gefallen, und darum war es vielleicht ganz gut, wenn sie in den nächsten Tagen auf die Alm zog, weg aus dem Blickfeld dieses verdammten Schleichers, von dem man nie wusste, was er wieder ausspionierte. Zunächst rechnete der Rauscher mit einer Hausdurchsuchung, die nichts ergeben würde, denn es war ja nicht schwer, eine geschlachtete Sau so zu verstecken, dass nichts davon zu finden war, wenn man nicht einmal eine zwölf Zentner schwere Glocke gefunden hatte.
    Außerdem war damit zu rechnen, dass der Schleicher jetzt noch mehr im Goldenen Grund herumspionieren würde. Also musste der Bauer noch vorsichtiger sein, wenn er im Radio die Wahrheit hören wollte, er musste in Zukunft lieber die erfolgreichen Rückzugsbewegungen schlucken als sich über den siegreichen Vormarsch der anderen zu freuen. Es war ja nicht ratsam, kurz vor Schluss noch den Kopf zu riskieren.
    Überall drang der Frühling schon mächtig aus der Erde. Die jungen Fichten setzten schon die hellen Triebe an, und als dem einsamen Wanderer ein Wiesel über den Weg lief, sah er, dass es nicht mehr weiß war, sondern schon braune Flecken hatte. Das war ein Zeichen, dass die warme Jahreszeit kam.
    Nach einer knappen Stunde sah der Rauscher seine Almhütte vor sich. Es war ein fest gemauerter Bau, schon fast ein kleiner Hof. Die Fensterläden waren dicht geschlossen und mit breiten Eisenbändern zusätzlich gesichert. Genauso die Türen. Niemand war in der langen Zwischenzeit dort gewesen, wie im Vorjahr, als zwei flüchtige englische Gefangene die Hütte aufgebrochen und sich darin acht Tage versteckt hatten, bis ihnen der Schleicher auf die Spur gekommen war. Für diese Heldentat hatte man dem Schleicher das Verdienstkreuz I. Klasse verliehen und ihn als leuchtendes Beispiel hingestellt und als eine verlässige Stütze
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