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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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des Staates.
    Der Rauscher setzte sich auf die Bank vor der Hütte, legte den Hut neben sich und fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn. Ringsum war tiefer Friede. Nur einmal hörte man einen Specht seinen rasenden Wirbel ins Holz schlagen. Und ringsum war das Gras schon handbreit hoch geschossen. Wenn man es recht betrachtete, so war alles um acht Tage früher daran, gerade so, als ob die Natur wüsste, dass heuer das Futter in den Tennen schon recht knapp geworden war.
    Ach ja, dachte der Bauer vom Goldenen Grund, es wird dann doch alles wieder recht. Und bald muss auch dieser unsinnige Krieg sein Ende finden. Dann konnte man auch mit diesem Schleicher ein deutliches Wort reden. Man brauchte sich nicht mehr vor ihm zu ducken, wenn seine Macht zerbrach und das zum Vorschein kam, was er in Wirklichkeit war, ein Narr, der in normalen Zeiten nur ein mitleidiges Lächeln wert war, bei dessen Anblick einem die Schamesröte aufsteigen musste, weil man vor einem solchen Jammerburschen sich einmal geduckt hatte, als die Macht hinter ihm stand.
    Eigentlich konnte der Rauscher sich gar nicht vorstellen, dass einmal wieder normale Zeiten kämen und dieser ungeheure Druck sich von den Menschen löste und die kleine Glocke auf dem Kirchturm zu Blockstein nicht mehr so jämmerlich ängstlich die traurige Kunde über die Dächer hinbimmeln musste, dass wieder einer für »das Reich« gefallen war. Wie es wohl sein musste, am Morgen nicht mehr mit dem schweren Druck auf dem Herzen aufzuwachen, mit der bösen Angst, ob heute nicht in den Goldenen Grund der Bote käme mit der Nachricht, dass nun auch der Gefreite Matthias Rauscher im Krieg gefallen sei. Er sprach zu niemandem über seine Angst davor, um all seine Hoffnungen betrogen zu werden. Auch zu seiner Frau Barbara nicht, obwohl sie von der gleichen Bedrängnis erfüllt war. Aber es war wie ein stilles Einverständnis, dass sie auch nicht darüber sprachen, wenn sie stundenlang wach lagen. Er sah in sie hinein, sah ihr Haar langsam ergrauen, das bis über die Fünfzig hinaus immer noch ganz dunkel gewesen war und nur ein paar graue Fäden gezeigt hatte. Und er sah auch, wie sie oft und oft mit angstvollen Blicken über den Goldenen Grund hinaussah auf den Weg, der zum Dorf führte, ob nicht jemand daherkäme, von dem man wusste, dass er schlechte Botschaft bringen könnte.
    Zweiundzwanzig Jahre war Matthias Rauscher nun alt. Seit drei Jahren war er Soldat und seine letzte Nachricht war kurz nach Weihnachten, nach der missglückten Ardennenoffensive, gekommen. Seitdem hatten sie kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Das Haar der Mutter wurde mit jedem Tag grauer, aber ihr Mann sagte es ihr nicht, wie auch sie verschwieg, dass sein Haar unter der gleichen Sorge vom Schimmelgrau ins Weiße wechselte.
    Seufzend erhob er sich, sperrte die Tür auf und trat ein. Es war alles noch in Ordnung. Nur Spinnweben hingen in den Ecken und eine Maus hatte ein Loch in das Sofakissen gefressen, das unter dem Herrgottswinkel auf der Bank lag.
    Im Stall war noch alles so, wie sie es im Spätherbst verlassen hatten. Die Ketten lagen im blank gescheuerten Barren und die Streu war aufgeschichtet.
    Morgen konnte also Anna mit der Herde hier heraufziehen und für die nächsten sechs Wochen hier bleiben. Dann erst konnte der Auftrieb zur Hochalm erfolgen.
    Mit ein paar müde blinzelnden Sternen lag die Nacht über den Häusern und Höfen von Blockstein. Kaum wahrnehmbar hörte man das leise Plätschern der Riss. Ein weinerlicher Wind strich durch die Bäume am Kirchberg und einmal jaulte ein Kater die Not seiner Liebe durch die rabenschwarze Finsternis. Kein Lichtschein fiel aus den abgedunkelten Fenstern, und wenn aus den »Vier Aposteln« nicht gelegentlich die Stimmen vom Stammtisch geklungen wären, hätte man annehmen können, dass bereits Mitternacht wäre und alles schliefe. Aber es war erst neun Uhr, am zweiten Mittwoch im April.
    In ihrem Stübchen saß Emma Brommesberger und nähte an einem Kittel. Das Licht der Lampe fiel auf ihr zerzaustes Haar. Die Finger führten flink die Nadel und ein Wecker, der auf der Kommode stand, tickte die Sekunden in die Stille.
    Auf einmal fuhr Emma zusammen. Hatte es nicht am Fenster geklopft? Sie hielt den Atem an und horchte.
    »Ist jemand draußen?«
    »Ja, mach auf.«
    Weil Emma die Stimme des Schleichers erkannte, beschloss sie nicht aufzumachen. Aber da hörte sie bereits den Schritt im Gang. Die Haustür war ja selten zugesperrt, weil im
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