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Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt
Autoren: Alexa Hennig Lange
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    Leute, ich bin fertig. Mit allem. Schon zum dritten Mal in dieser Woche sitze ich auf dem Badewannenrand oben in unserem Badezimmer und tröste meine verzweifelte Schwester. Beim ersten Mal dachte sie, ihr Freund hätte sie betrogen. Beim zweiten Mal dachte sie, ihr Freund würde sie nicht mehr lieben. Aber jetzt hat sie ein echt schwerwiegendes Problem, das sich nicht so leicht wegreden lässt. Wie eine, die in letzter Sekunde von mutigen Lebensrettern aus den reißenden Fluten gezogen wurde, liegt meine Schwester zitternd auf dem dunkelblauen Badewannenvorleger. Sie weint. Ihr feuchtes Gesicht klebt in meinem Jeansschoß und sie schluchzt immer weiter.
    Langsam habe ich ziemlich nasse Oberschenkel. Hilflos streichle ich ihr über die hellblonden Locken und mache dabei beschwichtigende Geräusche: »Schschsch.« Das bringt aber auch nicht richtig was. Kann ich ja verstehen. Meine Schwester hat ein echtes Problem. Ein richtiges. Ein richtig heftiges. Das muss ich ganz klar sagen. Meine Schwester hat so was von einem Problem, es ist so rahmensprengend, dass sie nicht mal weiß, wie sie es Mama auch nur andeuten soll. Dabei ist Mama normalerweise die Erste, die schonungslos in sämtliche Probleme meiner Schwester Constanze, genannt Cotsch, eingeweiht wird. Egal was es ist. Mama erfährt es zuerst:
»Mama, ich habe aus Versehen beim Shoppen dein ganzes Geld ausgegeben. Mama, ich habe aus Versehen Wodka getrunken. Mama, ich habe mir ein Piercing in den Bauchnabel schießen lassen. Mama, ich habe den ganzen Jahrgang zum Grillen eingeladen …«
    Nun bin ich ausnahmsweise mal die Erste, die von Cotschs problematischer Situation erfährt, und ich muss sagen: Die Tatsache ehrt mich. Mir scheint, meine zwei Jahre ältere Schwester hält mich für psychisch so stabil, dass sie mir eher als Mama zutraut, mit ihrem Problem fertig zu werden. Dabei hat sie mich noch bis vor Kurzem aus ihrem Zimmer geschickt, wenn sie mit Mama wieder mal auf der Bettkante gehockt und Krisengespräche geführt hat. Von wegen: »Lelle, geh raus! Was wir hier unter Frauen besprechen, verstehst du noch nicht!« Es ist ein gutes Gefühl, stärker als die anderen zu sein. Ich richte mich auf und nicke mir anerkennend im großen Badezimmerspiegel zu. Das bin ich. Die sommersprossige Lelle mit den blonden Fizzelhaaren. Das Mädchen, dem die Leute vertrauen. Besser geht’s nicht.
    Um irgendwas Schlaues in dieser heiklen Situation zu sagen und die Stimmung hoffnungsvoll zu heben, schlage ich vor: »Ich meine, freu dich doch!«
    Doch anstatt meinem Rat zu folgen, schluchzt Cotsch auf, wobei ihr ganzer Körper erzittert und die Tränen ihr nur so aus den Augen spritzen. »Hallo? Ich bin siebzehn, okay? Ich bin quasi noch ein Kind!«
    Das fällt meiner Schwester ja früh ein. Nur zur Information: Sie hatte garantiert mit mehr Jungen Sex, als Paris Hilton es jemals in ihrem Leben haben wird. Nicht, dass ich Paris vorverurteilen will, aber andauernd ist sie
drauf und dran, irgendeinen halbseidenen Typen zu heiraten, und lässt ihn ein paar Wochen später wieder sausen. Womit wir beim Thema wären: Meine Schwester ist ebenfalls so gut wie verheiratet. Mit unserem Nachbarn Helmuth. Der ist schon fast fünfzig und hat seine zweite Ehefrau vor einem halben Jahr mal eben gegen meine Schwester eingetauscht. Seitdem wohnt Cotsch am Wochenende drüben bei dem grauhaarigen Helmuth und unter der Woche bei uns zu Hause in ihrem Jugendzimmer. Nur wenn sie ihr Abitur mit Auszeichnung schafft - und im Sommer wird das so weit sein -, werden ihr Mama und Papa erlauben, Helmuth zu heiraten und ganz zu ihm zu ziehen.
    Eigentlich wollten Helmuth und Cotsch schon im letzten Herbst in Las Vegas richtig schick in einer dieser Wedding-Chapels heiraten - vielleicht in der Hoffnung, dass sie mit ein paar Hollywood-Stars verwechselt werden. Aber Mama und Papa hatten was dagegen. Sie meinten: »Kommt gar nicht in die Tüte! Erst wird das Abitur gemacht.«
    Ich sag’s gleich: Für mich ist so eine Las-Vegas-Glamour-Hochzeit nichts, aber Helmuth kam sich ganz verwegen bei der Idee vor, meine Schwester in Nevada zu heiraten. Unter uns: Helmuth fährt total auf diese Magazine ab - ich meine, Gala, InTouch, Okay und so. Der kennt sich richtig gut aus mit der Prominenz. Der weiß alles. Und darum wollte er sich mit meiner Schwester zur Krönung noch die Peepshow von Mel C angucken. Auf die steht er nämlich. Er meint: »Eine tolle Frau! Eine tolle Stimme. Eine tolle Ausstrahlung!«
    Wenn er
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