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Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt
Autoren: Alexa Hennig Lange
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Abgrund herumstolpere und jemanden brauche, der mich im Notfall festhält. Damit ich nicht hinunterstürze und am Boden zerschelle. Das klingt jetzt ziemlich dramatisch. Später werde ich genauer darauf eingehen.
    Erst müssen Cotsch und ich mal zum Mittagessen runtertapern, damit Mama nicht vor Sorge ausflippt und denkt, wir begehen hier oben im Badezimmer einen Doppelselbstmord. Ohne Witz, das hat Mama wirklich schon mal geglaubt. Als Cotsch und ich letztens die Tür abgeschlossen hatten, um uns heimlich die Haare zu strähnen. Wir hatten nämlich keine Lust, uns Mamas Meinung zu dem Thema anzuhören: »Ihr habt doch so schöne Haare!« Doch plötzlich hat Mama sich wohl ihre Gedanken gemacht, was Cotsch und ich oben so lange im Badezimmer veranstalten, und ist nervös geworden. Weil wir nicht auf der Stelle die Badezimmertür geöffnet haben, ist Mama voll Amok gelaufen und hat von außen mit der flachen Hand dagegengebollert. »Macht augenblicklich die Tür auf! Sofort!«
    Manchmal hat unsere Mutter echt eine krasse Fantasie. Ich meine, ich liebe das Leben. Wieso sollte ich mich umbringen? Aber in Mamas fantastischer Welt sind die
Unglücksfälle vorprogrammiert. Ständig befürchtet sie das Schlimmste … - na ja, nun ist es ja auch irgendwie eingetroffen. Ihre siebzehnjährige Tochter ist schwanger. Das zeigt, dass es sich definitiv nicht lohnt, sich Sorgen zu machen. Das Schlimme passiert sowieso. Möglicherweise fordert man es sogar durch das ständige Sorgenmachen heraus. Es fühlt sich quasi gerufen und eingeladen.
    Schnell quetscht Cotsch sich in ihre engen Jeans und ihr enges Blüschen und tuscht sich ihre langen gebogenen Wimpern nach.
    Ich gebe ihr noch einen Kuss auf die Schulter und lächle ihr im Spiegel zu. »Du wirst eine tolle Mama werden.«
    Und schon sehe ich sie vor mir, wie sie mit einem kreischenden Baby auf dem Arm durch die Nachbarschaft zu Mama rennt, auf der Schwelle entkräftet zusammenbricht und keucht: »Mama, ich bin am Ende. Du musst dich um mein Kind kümmern. Ich schaffe das nicht.«
    Und - zack - hat Mama eine neue verantwortungsvolle Aufgabe im Leben, die sie davon abhält, endlich mal zur Ruhe zu kommen. Meine tapfere Mama. Dabei träumt sie doch schon so lange davon, einfach ihren Wanderrucksack zu schultern und allein - wie Hape Kerkeling - den berühmten Jakobsweg entlangzupilgern. Um ihren inneren Frieden wiederzufinden, der bei uns irgendwo verloren gegangen ist.

2
    Zu dritt sitzen wir im Wohnzimmer am Tisch und laden uns das Mittagessen auf die Teller. Wie immer gibt es Kartoffeln, Gemüseauflauf und Frikadellen. Mama macht die besten Frikadellen, die ich je gegessen habe. Der Gemüseauflauf ist auch nicht schlecht, sehr ausgewogen, was die Inhaltsstoffe anbelangen. Wenn es einen Menschen gibt, der sich auf dem Gesundheitstrip befindet, dann ist das definitiv meine Mutter. Darum ermahnt sie mich auch ständig: »Lelle, rauch nicht so viel.«
    Schon morgens, wenn sie in mein Zimmer kommt und den Vorhang zur Seite zieht, meint sie als Erstes: »Lelle, rauch nicht so viel.« Dabei liege ich ganz unschuldig unter meiner Decke und schlummere vor mich hin. Darum geht diese Warnung bei mir zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Was soll der Stress?! Ich bin fünfzehn Jahre alt. Okay? Da kann ich ganz entspannt die nächsten fünfzehn Jahre durchqualmen, bis ich mal damit anfangen sollte, mir ernsthafte Gedanken um meine Lungen zu machen. Ich meine, das Leben besteht aus Höhen und Tiefen, und die überwinde ich am besten mit einer Zigarette zwischen den Fingern. Ich brauche einfach dieses Gefühl, wenn der Rauch von innen meine Lungen vollkommen ausfüllt.
    Versteht mich nicht falsch! Das soll hier natürlich kein
Seminar zum Thema »Wie werde ich Kettenraucher?« werden. Ich stelle nur fest, dass mich Zigaretten echt entspannen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Rauch setzt im Gehirn irgendwelche chemischen Prozesse in Gang, wodurch der Stress quasi aufgelöst wird. Ich glaube, die Synapsen oder die Nerven werden manipuliert. Allerdings flaut die Wirkung sehr schnell wieder ab, und noch größerer Stress entsteht, weil der Körper unter Entzugserscheinungen leidet. Also verlangt er erneut nach einer gehörigen Dosis tödlichen Nikotins. Darum muss ich- zack - die nächste Zigarette rauchen. Klingt schlüssig, finde ich. Rauchen steht mir aber auch einfach gut. Trotzdem will mein Freund Arthur, dass wir dringend damit aufhören. Aber wir kriegen es irgendwie nicht hin. Wir
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