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Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt
Autoren: Alexa Hennig Lange
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sagen, was ich anschließend für eine Panik geschoben habe, schwanger zu sein. Die nächsten Tage war mir vor lauter Angst so blümerant, dass ich auf dem Schulweg mit dem Rad in die Büsche gerast bin. Nach einer Woche konnte ich dann endlich diesen speziellen Apotheken-Pre-Test für die ganz ungeduldige Frau machen. Leute! Der ist vielleicht teuer! Arthur und ich haben uns die Kosten geteilt. Trotz dieser Erfahrung will ich mir nicht die Pille verschreiben lassen, weil meine Schwester
meint: »Davon kriegst du krasse Depressionen.« Sie glaubt, dass die künstlichen Hormone die menschliche Psyche verändern. Darauf kann ich echt verzichten. Mein Leben ist auch so schon anstrengend genug. Man sieht ja an Cotsch, wohin das führt. Die verträgt die Pille überhaupt nicht. Darum nimmt sie die auch nur alle drei Tage. Sie meint: »Das muss reichen.« Tja, wie sich zeigt, reicht es wohl doch nicht.
    Sie schnieft und ich strecke mich vor, rupfe ein bisschen Klopapier von der Rolle und halte meiner Schwester das Knäuel hin. Sie nimmt es und schnäuzt sich volle Pulle rein. Manchmal benimmt sich meine Schwester wie ein Mann. Total brachial. Dabei ist sie so hübsch, aber sobald sie sich die Nase putzt, wirkt sie wie ein Holzfäller oder so. Als ob sie den Männern beweisen müsste, wie tough sie doch eigentlich ist.
    Ich versuche, ganz normal zu bleiben. Ohne eine Rolle zu spielen, meine ich. Ich streiche Cotsch über die Haare und frage: »Und? Was willst du jetzt machen?«
    »Keine Ahnung.«
    Meine Schwester putzt sich noch mal die Nase und setzt sich mit verheulten Augen neben mich auf den kalten Badewannenrand. Meine Jeans ist so was von nass an den Oberschenkeln. Die klebt mir richtig an der Haut fest. Mehrere Liter Tränenflüssigkeit sind darin versickert. Ich lege den Arm um Cotsch und ziehe sie an mich ran. Sie braucht jetzt echte Geborgenheit und das Gefühl, dass sie nicht alleine ist. Ich rieche ihr schweres Parfüm. »J’adore«, das hat ihr Helmuth neulich geschenkt.
    Ich verspreche: »Ich halte zu dir, egal, was passiert.«
    Sie schlingt ihre Arme um mich und weint mir nun
auch noch die Schulter nass. »Danke, du bist die Liebste, Beste, Tollste.«
    So freundlich kenne ich meine Schwester gar nicht. Normalerweise schimpft sie nur rum und gibt mir das Gefühl, von Geburt an ein Vollidiot zu sein. Jetzt nicht. Seltsam. Wahrscheinlich weil sie weiß, dass sie zukünftig auf meine Hilfe angewiesen sein wird. Stichwort: Windelnwechseln. Wenn es eine Person auf diesem Erdball gibt, die definitiv keine Kinder haben wollte, dann ist das meine Schwester. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, wie sie mit einem Kinderwagen durch die Parkanlage schiebt und einen auf selige Mutter macht.
    Ich räuspere mich und frage vorsichtig: »Du willst das Baby aber nicht abtreiben lassen, oder? Ich meine, darf man das überhaupt?«
    Meine Schwester zuckt mit den Schultern. »Klar.«
    »Und? Willst du es?«
    »Was glaubst du denn? Ich bin Christin. Gott hat mir dieses Leben geschenkt.«
    Ich nicke. Da hat sie so was von recht. »Dann musst du es wohl Mama sagen.«
    Gleich läuft mir bei meinen eigenen Worten ein kalter Schauer über den Rücken. Das wird ein Happening, das ich auf keinen Fall verpassen will. Meine arme Mama. Diese Neuigkeit wird ihrem Leben noch mal eine völlig unerwartete Wendung geben. Sie ist ja jetzt schon mit meiner Schwester und mir vollkommen überfordert, weil wir eher die expressiven Mädchentypen sind. Das heißt, gerade meine Schwester neigt dazu, keine Rücksicht auf ihre Umwelt zu nehmen, sondern exakt alle ihre Bedürfnisse durchzudrücken. Und auch ich habe zugegebenermaßen
eine Neigung, aus Lebenshunger Dummheiten zu begehen, die ich hinterher nur schwer kontrollieren kann. Mama musste schon öfter mal eingreifen, wenn es so aussah, als wäre bereits alles verloren. Zum Beispiel als ich mir von Johannes, meiner zweiten großen Liebe, in die Haut so ein afrikanisches Muster hatte einritzen lassen und sich das Ganze furchtbar entzündet hat. Ich dachte, ich sterbe an Wundstarrkrampf. Papa hält sich seinerseits gekonnt aus jedem Schlamassel raus. Dem ist das Leben mit drei Frauen definitiv zu stressig. Der meint: »Ihr macht euch die Probleme selbst.« Womit er nicht ganz unrecht hat. Aber irgendwie muss man ja aus Fehlern lernen und sein eigenes Leben gestalten und Verantwortung übernehmen. So auch Cotsch. Sie muss Mama jetzt sagen, dass sie mit 45 Jahren Großmutter wird. Krass.
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