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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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neue Geige gegen den Türrahmen gehauen, weil sie es nicht geschafft hat, dieses komplizierte Vivaldi-Stück fehlerfrei zu spielen.
    Jetzt kämpfen wir uns zu zweit durchs Unterholz und suchen die gesamte Vegetation systematisch ab, wobei wir echt bemüht sind, Papas Pflanzen nicht zu zertreten. Alina und ich pendeln mit unseren Oberkörpern über den Büschen und Blumen und biegen mit unseren Händen
die Sträucher und Ästchen beiseite, um bis zum Boden sehen zu können. Das gestaltet sich ziemlich schwierig, da Papa den Garten so angelegt hat, dass alles kräftig gedeiht und Bodendecker neben Schattengewächsen und Büschen wuchern. Das ist der Kreislauf des Lebens, und irgendwo dazwischen liegen die Wrackteile von Alinas Handy wie die Wrackteile eines Ozeanriesen in der Tiefsee. Ich schätze also, die Sache mit der Chipkarte ist relativ aussichtslos.
    Das behalte ich aber besser für mich. Ich sage: »Bleib cool, wir finden das alles wieder. Kann ja nicht weit geflogen sein.«
    Denken tue ich definitiv was anderes. Wie kann man nur so blöd sein! Ha! Leute! Hier habe ich doch tatsächlich den Akku gefunden. Das ist ja mal ein gutes Zeichen! Er liegt einen halben Meter vom Stamm entfernt, zwischen zwei Elefantengräserbüscheln. Ich hechte hin und halte ihn hoch. »Voila! Der Akku!«
    »Danke! Danke! Danke!!« Alina greift mit erdiger Hand danach, wischt ihn mit dem Handballen sauber und quetscht ihn sich erleichtert in die Hintertasche ihrer Jeans. Dann suchen wir weiter, und Alina meint, mit dem Kopf nach unten: »Eins sage ich dir, Lelle: Ich gehe nie wieder nach Hause. Mir reicht’s echt. Ich hab keinen Bock mehr auf diesen ganzen Terror-Wahnsinn.«
    Mir soll’s recht sein. Ich mag Alinas Eltern sowieso nicht. Die sind so was von beschränkt, dass es einem echt angst und bange werden kann. Alina kann ja wieder in Cotschs altem Mädchenzimmer residieren und mir bei der Vorbereitung für die morgige Party helfen. Da gäbe es nämlich noch so einiges zu erledigen. Besonders was den Getränke- und Chipseinkauf anbelangt. Gleich darauf
finde ich das schwarze Handygehäuse, und Alina entdeckt höchstpersönlich ihre Chipkarte, die tatsächlich - sehr romantisch - in einem Blütenkelch gelandet ist.
    Im Glückstaumel stößt sie einen langen, markerschütternden Schrei aus: »YESSSSS!«
    Heaven, das fiept in den Ohren. Immer noch taub von dem Schrei, setzen wir uns zurück an den Gartentisch, klopfen unsere erdigen Hände an unseren Jeanshosen ab, und Alina baut in Windeseile ihr Handy zusammen. Ein bisschen erinnert sie mich dabei an diese Spezial-Soldaten aus Filmen, die bei der Army mit verbundenen Augen und in Sekundenschnelle ihre MGs zusammensetzen. Wirklich erstaunlich, wie schnell das geht.
    Alina schaltet ihr Telefon an und es funktioniert wunderbarerweise noch. Sie strahlt kurzfristig über das ganze Gesicht. »Genial!«
    So einfach ist es also, sich selbst glücklich zu machen: Zerstöre etwas total Lebenswichtiges und baue es anschließend in einer panischen Rettungsaktion wieder zusammen. Auf dem Display erscheint das rote Vodafone-Logo, dann das von Alina hochgeladene Hintergrundbild: das Bird’s Nest-Plattencover von »Chick 483«. Nur leider ist in der Zwischenzeit keine Nachricht eingegangen.
    Alina seufzt. »Jedenfalls keine von dem Roadie. Nur zehn verpasste Anrufe von meiner nervigen Mutter.«
    Ich tätschle ihr beruhigend den Unterarm: »Na ja, ich würde mal sagen: Es ist noch nicht aller Tage Abend.«
    Alina und ihr Roadie haben sich ja gerade erst im Bus voneinander verabschiedet. Das muss also nichts heißen. Wobei dieser Roadie-Typ natürlich schon eine freundliche SMS schreiben könnte, mit einem Gruß oder so. Aber ich vermute, er muss sich erst mal über seine Gefühle klar
werden, bevor er sich wieder an Alina wendet. Sehr verantwortungsbewusst.
    Ich erkläre also: »Keine Panik! Der meldet sich. Der muss erst mal checken, was er eigentlich will.«
    Alina sackt in sich zusammen. Mit dunkel umrandeten Augen starrt sie auf ihr Handydisplay und murmelt: »Mist! Kann das Leben nicht einmal unkompliziert sein?«

3
    K urz vor Ladenschluss schieben Alina und ich bei real unseren großen Einkaufswagen an den Chipsregalen vorbei. Dabei starrt Alina unentwegt auf ihr Handy, als könne sie nicht glauben, dass es nicht vibriert. Alle zwei Sekunden klappt sie es auf, klappt es wieder zu. Schaltet es ab, schaltet es wieder an, bis ich echt befürchte, dass sie es gleich kaputt gekriegt hat und gar
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