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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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mir besser. Alina hat ja - wie bereits erwähnt - zu Hause schon ziemlich viel Keile einstecken müssen.
    Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und meint schließlich trocken: »Ich hab mich in einen von den Roadies verliebt.«
    Ich rutsche vor auf die Stuhlkante. »In wen?«
    »In einen Roadie! Aber der hat eine Freundin und die will er nicht verlassen. Ich kann aber nicht mehr ohne ihn leben.«
    Wow! Das sind gewichtige Worte! Und dann weint Alina vollkommen enthemmt los. Da scheint sich ja ordentlich was in ihr angestaut zu haben. Ich gucke Mama an und die schaut Alina mitleidig an, so, als könne sie geradezu ihr Leid fühlen, als hätte sie selbst auch schon mal so eine unglückliche Liebe erlebt. Dann fasst sie sich aber wieder und sagt wie ein echter Liebesprofi: »Hast du denn seine Telefonnummer?«
    Alina nickt und schnieft, sodass ich ihr schließlich von drinnen die Küchenrolle hole. Das hält ja kein Mensch aus. Ich reiche ihr ein Stück, und sie schnäuzt sich kräftig rein, dabei kann sie nicht aufhören zu weinen. Das ist gut, das reinigt, das befreit; auch, wenn ich selbst nicht
so der Typ für’s Weinen bin. Danach habe ich jedes Mal das Gefühl, dass nun endgültig alles verloren ist. Meine Stärke ist es, hart zu bleiben, nicht zu fühlen, wie weh mir manche Dinge tun. Immer zäh bleiben, das habe ich von meiner Mutter. Die macht das genauso. Unter uns: Das hilft oft, aber manchmal erreicht man damit auch genau das Gegenteil, weil die Leute dann das Gefühl haben, man sei aus Stahl und es sei nur in Ordnung, mächtig auf einem rumzutrampeln. Meine Therapeutin, zu der ich seit Jahren gehe, weil ich ja wie gesagt unter chronischer Magersucht und unter der Unfähigkeit, mich abzugrenzen, leide, hat mir neulich eine wichtige Frage gestellt. Sie hat ihre bunte Brille abgenommen und mit ganz ernster Stimme gemeint: »Lelle, wirst du denn nie wütend?«
    Da habe ich den Kopf geschüttelt und erklärt: »Nee, meine Schwester wird ja schon immer so wütend, da mag ich nicht auch noch wütend werden, weil meine Mutter sonst nur mit Töchtern zu tun hat, die dauernd wütend werden.«
    Da hat meine Therapeutin genickt, irgendwas in ihre Notizen gekritzelt und gesagt: »Wenn du nicht möchtest, dass alle denken, dass du endlos belastbar bist, solltest du zumindest in einigen Momenten so tun, als seist du verletzt oder wütend, damit die anderen wissen, wo deine Grenzen sind. Alles klar?«
    Da habe ich wiederum genickt und gedacht: Ich weiß ja nicht mal, wo meine Grenzen sind, weil ich endlos belastbar bin.
    Und Leute, solltet ihr das auch von euch denken: Es stimmt nicht. Irgendwann fängt es an, wehzutun. Diesen unterschwelligen Schmerz solltet ihr genau beobachten und euch dazu entschließen, ab und an mal ein klärendes
Wort an die Öffentlichkeit zu richten. Ihr müsst ja nicht gleich ausflippen und hysterisch werden, man kann ja auch ernst und sachlich bleiben, ohne Vorwürfe auszuteilen. Das hilft. Das habe ich von meiner Therapeutin gelernt. Immer schön sachlich bleiben. Niemanden beleidigen. Das beherrscht Arthur von Natur aus. Arthur ist mein Hero. So kann man das sehen.
    Alina seufzt, und Mama fragt weiter, um ein bisschen Klarheit in die Angelegenheit zu bringen: »Und hat er deine Handynummer?«
    »Ja.« Alina knüllt das feuchte Küchenpapier mit dem Blumenmuster in ihrer Hand zusammen. Mama lächelt aufmunternd und meint etwas übertrieben gut gelaunt: »Na also! Wenn ihr zusammengehört, dann werdet ihr auch zusammenfinden. Ohne, dass du etwas erzwingen musst. Das geschieht ganz von alleine.«
    Fehlt bloß noch, dass meine Mutter ihre Arme ausbreitet und Alinas Aura glatt streicht. Ich finde es ja super, dass meine Mutter ganz viele Seminare zum Thema »Erleuchtung« mitmacht und schlaue Bücher darüber liest, aber manchmal habe ich echt das Gefühl, dass sie alles nur noch unter diesen mystischen Gesichtspunkten sieht. Vielleicht hilft das ja, um glücklich zu werden. Wer weiß das schon.
    Mama räuspert sich, dann fährt sie fort: »Hauptsache, du hast diesem jungen Roadie, wie du ihn nennst, gesagt, dass du ihn magst.«
    Alina reißt entsetzt die Augen auf und gesteht: »Nee, ich hab so getan, als wär er mir egal.«
    Mama zieht die Augenbrauen hoch. Ich auch. Wie kann man nur so blöd sein? Ich meine, wie soll der Typ jetzt wissen, dass Alina ihn toll findet? Ich fasse es nicht.

    Meine Mutter steht von der Gartenstuhllehne auf und gibt Alina einen Kuss auf die hochgestellten Haare, was
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