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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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aussieht, als würde sie einen Besen küssen. »Dann solltest du ihm das beizeiten mal mitteilen.«
    Und Alina weiht uns noch tiefer in die Geschichte ein: »Ich meine, wir haben uns geküsst und er hat gesagt, dass ich die Liebe seines Lebens bin.«
    »Ja, und wo ist dann das Problem?«
    »Dass ich gesagt habe, dass ich grundsätzlich keine Beziehungen zerstöre.«
    Meine Mutter steigt in ihrem knappen, mintfarbenen Yoga-Outfit über die Türschwelle nach drinnen ins Wohnzimmer. Da dreht sie sich noch mal kurz um und seufzt. »Alina, das ist ein ganz wunderbares Vorhaben. Doch nichts ist in Stein gemeißelt.«
    Und mit diesen schwerwiegenden Worten lässt sie mich hier alleine mit der deprimierten Alina im Schatten der Akazie hocken. Ich muss mich voll konzentrieren, um ganz bei meiner Freundin und ihrem Schicksal zu bleiben, mir geht nämlich noch einiges andere durch den Kopf. Zum Beispiel, was ich morgen zu meiner Party anziehen werde. Vermutlich wird es vernünftiger sein, wenn ich ausnahmsweise keinen Alkohol trinke. Betrunken verliere ich schnell mal die Kontrolle und tue und sage nur noch Dinge, die ich besser nicht tun oder sagen sollte. In dieser Stimmung wäre ich sogar bereit, Beziehungen zu zerstören. Doch am Ende bin ich es, die schwankend und voller Scham im Bett liegt und sich wünscht, nie geboren worden zu sein. Auf diesen grauenhaften Zustand der totalen Verzweiflung kann ich echt verzichten. Man sieht ja an Alina, wohin das führt. Zur ultimativen Lebensmüdigkeit.

    Ich gucke zu ihr rüber, die Wimperntusche läuft ihr in schwarzen Schlieren über die bleichen Wangen. Ich möchte mal wissen, warum sie so traurig ist. Ihr Leben ist doch noch nicht vorbei, alles ist möglich. Ich meine, wer weiß, ob sie und dieser Roadie nicht wirklich eines Tages heiraten? Wie Mama ganz richtig sagt: Nichts ist in Stein gemeißelt.
    Zur Entspannung lege ich mal kurz meinen Kopf in den Nacken und sehe mitten hinein in die flirrenden Zweige der Akazie. Hinter den tausend flirrenden Blättchen steht die Sonne und wirft flüchtige Schattenspiele in die Luft. Irgendwie habe ich die Hoffnung, in diesem Blätterdschungel die Antwort darauf zu finden, was das wahre Geheimnis des erfüllten Lebens ist. Als meine Augen anfangen zu brennen, beuge ich mich wieder vor, rupfe mir ein Stück Papier von der Küchenrolle und tupfe mir damit die Stirn ab. Es ist so unerträglich heiß heute, dass ich mir ganz gelähmt vorkomme.
    Alina fingert in dem aufgeribbelten Loch in ihrer schwarzen Röhrenjeans herum und sagt schließlich mit belegter Stimme: »Meinst du, er ruft mich an?«
    Ohne zu überlegen sage ich: »Klar, bestimmt.«
    »Denkst du wirklich? Ich meine, hinterher findet er mich blöd.«
    Doch bevor wir diese Telefon-/Roadieproblematik ausdiskutieren können, vibriert auch schon Alinas Handy los. Mit Mühe zerrt sie es aus ihrer engen Hosentasche, blickt mit aufgerissenen Augen aufs Display und hält es mir dann enttäuscht hin. »Ich kotze! Meine Mutter.«
    Ihre Hände zittern, und ich weiß, dass sie so sehr gehofft hatte, dass es ihr mysteriöser Roadie ist, dessen Namen niemand kennt. Alina klappt lustlos ihr Handy auf
und sofort muss sie sich ohne Punkt und Komma beschimpfen lassen. Dabei hält sie das Telefon ein Stück von ihrem Ohr weg, und ich höre, wie ihre Mutter rumkeift und verlangt, dass Alina auf der Stelle nach Hause kommt, weil es sonst »was setzt«. Und während ich überlege, wie man dieser Mutter mal in Ruhe erklärt, dass sie sich echt voll daneben benimmt, klappt Alina plötzlich mitten im Satz ihr Handy zu und schleudert es mit Wucht gegen den dicken, knorrigen Stamm der Akazie. Wow! Das hat Style! Der Akku sprengt ab und die restlichen Einzelteile verteilen sich wie kleine Geschosse in den blühenden Sträuchern.
    Ich frage beeindruckt: »Alina, was machst du da?« Da kreischt sie auch schon los: »Scheiße! Bin ich blöd!« Bevor ich eine detailliertere Antwort bekomme, stürzt sich Alina kopfüber in die Büsche und fängt an, wie von Sinnen die Einzelteile des Handys wieder zusammenzusuchen, von denen garantiert einige irreparabel zerbrochen oder verschollen sind. Doch das Stressigste ist: Die Chipkarte ist weg. Alina jammert: »Mist, Mist, Mist!«
    Allerdings! Wie soll der Roadie sie jetzt bitte schön anrufen? Es hätte doch gereicht, das Handy einfach zuzuklappen. Aber manchmal, das kenne ich von meiner Schwester, überkommt einen die Wut. Damals beim Geigeüben hat Cotsch plötzlich ihre
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