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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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augenblicklich die ausgelatschten Vans von den Füßen und stellt sie ordentlich nebeneinander in den Korridor. Dann folgen wir meiner Mutter durch das helle Wohnzimmer, raus in den Garten.

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    D raußen setzen wir uns an den alten Holztisch, den meine Mutter neulich auf dem Flohmarkt erstanden hat. Mama hatte Lust, ein wenig rustikales Flair im Garten zu verbreiten. Ich mag den Tisch, er sieht aus, als hätten schon diverse Generationen daran gespeist. Überhaupt gibt es für mich kaum einen schöneren Platz als im kühlen Schatten der riesigen Akazie, die ihre Äste beinahe über unseren gesamten Garten spannt. Ich würde sogar sagen: Mit ihrer knochigen Rinde, ihren kleinen, grasgrünen Blättchen, ihrem starken Stamm ist die Akazie mein Freund. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, sie spricht zu mir. Von wegen: »Lelle, halte durch!« So, wie dieser Baum durchhält. Seine Wurzeln drücken überall die Backsteine der Terrasse nach oben und wir stolpern ständig drüber. Über uns in den Zweigen gurrt eine Taube, und von nebenan hören wir Arthurs Schleifmaschine im Wechsel mit diesem hohlen Geräusch, das die leeren Plastik-Flaschen machen, wenn sie übereinanderrollen.
    Mama stellt Alina ein Glas mit Apfelschorle hin und die Kirchturmuhr schlägt elf Uhr. Mama bindet sich einen kleinen Pferdeschwanz - seit Neuestem lässt sie sich die Haare lang wachsen - und meint: »Ich muss gleich rüber zu Constanze und Mimi abholen. Aber erst will ich mal wissen, warum du so traurig bist, Alina.«
    Mimi ist das Baby von meiner Schwester Cotsch. Um das
kümmert sich meine Mutter am Wochenende und nachmittags, wenn sie aus der Steuerkanzlei zurück ist, wo sie für meinen Vater halbtags die Quittungen sortiert. Mama war schon immer Papas unterbezahlte Angestellte. Seit Mimi auf der Welt ist, überlegt sie allerdings, ob sie nicht noch mal eine Ausbildung zur Naturheilpraktikerin machen und eine eigene Praxis eröffnen sollte. Ich fände das super. Nur Papa bremst das aus, weil er ohne Mamas Mitarbeit echt aufgeschmissen wäre. Das würde er natürlich nie zugeben. Mein Vater tut gerne so, als seien alle Menschen außer ihm unfähig und müssten froh sein, dass es ihn gibt, damit er die Welt vor dem Untergang retten kann. Leider kriegt er nie mit, wenn man ihn wirklich mal brauchen könnte.
    Heute ist Samstag und darum holt meine Mutter Mimi schon früher zu uns rüber. Vermutlich absolviert meine Schwester wieder irgendeinen Model-Job. Ständig wird sie für stylische Kataloge in Badeanzügen oder funkelnden Abendroben abgelichtet. Und jedes Mal schmiegen sich heiße, durchtrainierte Typen in Smokings oder Badehosen an sie, als wäre meine Schwester so eine Art Göttin. Ihr Helmuth ist derart stolz darauf, dass er sein komplettes Haus von oben bis unten mit diesen Katalogbildern tapeziert hat. Teilweise nimmt das echt bizarre Züge an, besonders was die verruchten Unterwäsche-Fotos anbelangt, die er im Flur in dicke Goldrahmen gepackt hat und dramatisch beleuchtet.
    Alina starrt vor sich hin, so, als würde sie mit offenen Augen schlafen.
    Mama setzt sich zu ihr auf die Stuhllehne und stubst sie freundschaftlich mit dem Ellenbogen an. »Alina, was ist los? Wie war’s mit deinen Jungs? Habt ihr ein paar Hits geschrieben?«

    Sie nickt und schnieft weiter vor sich hin. »Ja, kann schon sein.«
    Alina hat mal für ein paar Monate bei uns gewohnt, als es bei ihr zu Hause gar nicht mehr ging. Ihre Mutter flippt nämlich schnell aus und verliert die Kontrolle. Einmal habe ich das hautnah miterlebt. Ich kann euch sagen: Das war ziemlich schockierend! Ich wusste gar nicht, wie bescheuert einige Eltern mit ihren Kindern umspringen. Die müssten doch eine natürliche Bremse haben. Alina hätte gerne bei uns wohnen bleiben können, aber dann hat sie merkwürdigerweise Heimweh nach ihrem Zuhause bekommen. Also ist sie zurück zu ihren Eltern und den beiden Yorkshire Terriern, wo ihr sofort wieder die Hölle heiß gemacht wurde. Keine Woche später war Alina so am Ende, dass sie gar nicht mehr wusste, wo sie hinsollte. In der Schulpause hat sie plötzlich zu mir gemeint: »Ich bringe mich um.« Einfach so: »Ich bringe mich um.« Ich dachte zuerst, sie macht Scherze. Von wegen! Ihr hättet ihr Gesicht dabei sehen sollen. Vollkommen ernst und entschlossen. Seitdem machen Mama und ich uns unterschwellig Sorgen. Wir hatten ja die Hoffnung, dass sich Alina mit den Songtexten alles von der Seele schreibt. Aber irgendwie ist in ihr eine so
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