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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild
Autoren: Alexa Hennig Lange
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vermutlich zurzeit an seinem Plastikflaschen-Katamaran im Garten bastelt, will ich ihn nicht stören. Er steht ein bisschen unter Zeitdruck. Übernächste Woche will er mit diesem selbst konstruierten Plastikflaschen-Teil zur größten schwimmenden Müllkippe segeln, die so riesig ist wie ganz Texas und sich mitten im Pazifik, auf dem Weg nach Australien, befindet. Total alleine, mit fünf anderen Leuten aus seiner Umweltorganisation. Unter uns: Wie soll man mit so einem Menschen eine Beziehung führen? Dauernd veranstaltet Arthur lebensgefährliche Expeditionen, bei denen ich nie weiß, ob er überhaupt jemals wiederkommt. Da brauche ich doch eine zweite Liebe, die mich im Fall der Fälle auffängt, quasi als Sicherheitsnetz.
    Also ziehe ich Alina an der Hand weiter, direkt auf unsere Haustür zu. Ich stoße die Tür auf und rufe in den dämmrigen Flur hinein: »Mama, Alina ist da.«
    Gleich kommt meine Mutter barfuß und in ihrem mintgrünen Yoga-Outfit die Treppe herunter. Seit Neuestem läuft sie nur noch in diesen merkwürdigen kurzen Pluderhosen herum, weil sie ständig zum Trainieren ins »Studio« geht. Neulich hat sie mir im Wohnzimmer vorgeführt, wie lang sie den Handstand beherrscht. Sie wollte gar nicht wieder damit aufhören. Ich dachte wirklich, ihr Kopf platzt gleich von dem ganzen angestauten Blut.
    Mama hat jetzt eine Top-Figur, allerdings interessiert das meinen Vater nicht die Bohne. Dabei hatte Mama so
sehr darauf gehofft, dass sie durchs Yoga eine sinnliche Ausstrahlung bekommt. Ich finde, es hat gewirkt. Aber Papa kriegt nichts mit. Der kommt abends abgespannt aus seiner Steuerkanzlei nach Hause, setzt sich kurz zu uns an den Abendbrottisch und danach verschwindet er zu seinen »Skulpturen« in den Keller und macht einen auf Hobbykünstler oder putzt seine Schuhe. Eigentlich wollte er zeit seines Lebens Bildhauer werden, aber aus »Vernunftgründen«, wie er es nennt, ist er ein sehr erfolgreicher Steuerberater geworden, der manisch Schuhe putzt. Meine Mutter ist deshalb total frustriert, weil sie echt gewillt war, die Beziehung mit meinem Vater auf ein »neues Niveau« zu heben. Sie dachte, dass er jetzt, als frischgebackener Opa, auch mit Yoga anfängt, sich für Spiritualität interessiert, und dass sich der ganze Ärger, den sie die letzten Jahrzehnte miteinander hatten, in Wohlgefallen auflösen würde.
    Leider macht Papa bei dem Plan null mit. Noch problematischer ist allerdings, dass er mit Mamas plötzlicher Selbstsicherheit überhaupt nicht umgehen kann. Jedes Mal, wenn sie ihm jetzt sagt, dass sie sich wirklich wünschen würde, dass er sich mal etwas mehr in die Ehe einbringt, geht er aus dem Zimmer. »Lass mich bloß mit diesem dummen Eso-Zeug in Ruhe.« Früher hätte sich das Mama stillschweigend bieten lassen, heute rennt sie hinterher und sagt ihm gehörig die Meinung: »Du bist ein emotional unterentwickelter, trauriger, alter Mann.« Ich schwöre: Papa war es wesentlich lieber, als Mama noch Hypochonderin war und ständig Panik hatte, an einem durch zu viel Stress verursachten Herzinfarkt zugrunde zu gehen.
    Meine Mutter lächelt, wie sie immer lächelt, und breitet ihre Arme aus. »Alina, komm, lass dich fest drücken!«

    Und dann schließt sie ihre Arme um meine mickrige Freundin und presst sie an ihre Yoga-Brust. Meine Mutter ist der herzlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Als meine Schwester und ich klein waren, hat sie uns ununterbrochen auf ihren Schoß gezogen, geküsst, gedrückt und mit uns gekuschelt, dass es jetzt für mich fast ein bisschen heftig und verstörend ist, nicht mehr ganz so viel gedrückt und geherzt zu werden. Vielleicht ist das auch noch so ein Grund, warum ich Verlangen nach zwei Jungs gleichzeitig habe: Johannes und Arthur. Kann doch sein. Ich brauch die doppelte Portion Zärtlichkeit und Liebe, weil ich die von klein auf gewöhnt bin.
    Im Gegensatz übrigens zu Alina. Die hat von ihrer Mutter immer nur Saures gekriegt. Alina steht stocksteif da und lässt sich von meiner Mutter knuddeln, dann bekommt sie auch noch einen Kuss auf die blasse Stirn. Dabei laufen ihr schon wieder Tränen über die Wangen.
    Ich lasse ihren Rucksack auf den Boden neben meiner Zimmertür sinken und denke, dass sie sich zuerst mal ihre alten Totenkopf-Vans ausziehen sollte. Schließlich ist Mama den lieben langen Tag bemüht, dass es bei uns zu Hause hübsch und sauber aussieht. Als hätte Alina meine Gedanken telepathisch empfangen, streift sie sich
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