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Fessel Mich

Fessel Mich

Titel: Fessel Mich
Autoren: Nora Wolff
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    1
    Prolog
     
    ‚Verdammt!‘
    Den Handrücken gegen die Lippen gepresst, rannte Patrick die wenigen Stufen ins Kellergeschoss der Schule hinunter. Es hatte gerade erst zur Pause geklingelt, also waren noch nicht allzu viele Schüler auf den Fluren unterwegs und hier unten in den düsteren, miefigen Korridoren vor den Toiletten sowieso so gut wie gar keiner. Trotzdem musste er sich zusammenreißen, nicht ständig zurückzublicken. Dem triumphalen Johlen seiner so genannten Klassenkameraden entkam er dadurch jedoch nicht.
    Ja, wunderbar! Sie hatten es wieder einmal geschafft! Gratulation!
    Patrick stieß die schwere Tür zu den Jungenklos mit so viel Wucht auf, dass sie laut krachend mit der Wand kollidierte. Sofort wurde der typische Toilettengeruch noch ein bisschen stärker, aber Patrick hatte inzwischen genug Gelegenheiten gehabt, sich daran zu gewöhnen. Mittlerweile begrüßte er ihn sogar. Denn so unangenehm er vielleicht auch war, so effektiv hielt er auch die meisten Schüler von hier unten fern – abgesehen von ein paar Ausnahmen, aber manchmal musste man eben einfach pinkeln. Die meisten verzogen sich zum Glück immer wieder recht schnell. Kein Wunder. Bei zwanzig Grad im Schatten tummelten sich die meisten eben lieber in der Sonne, anstatt hier unten buchstäblich zu versauern. Patrick konnte sich auch bei weitem Spannenderes vorstellen.
    Da sich außer ihm noch niemand hierher verirrt hatte, nutzte Patrick den Moment und betrachtete den Schaden im Spiegel, der von mehreren Fettflecken und halb herunter gekratzten Stickern verziert wurde. Links neben einer seiner abstehenden, strohblonden Haarsträhnen grinste ihm ein halber Homer Simpson entgegen und quer über sein Kinn verlief quer der verschandelte Schriftzug einer Band: »Gr…nDay«.
    Direkt darüber pochte seine aufgeplatzte Lippe.
    »Scheiße.«
    Blind griff er sich eins der Papiertücher aus dem Spender zu seiner Rechten und tupfte damit das wenige Blut von seinem Mund.
    Normalerweise gingen sie nicht so weit, dass Blut floss oder andere äußerliche, sehr deutliche Zeichen zu sehen waren. Abgesehen von den blauen Flecken, wenn er zufällig mal wieder angerempelt, irgendwo gegen oder gleich zu Boden gestoßen wurde. Die konnte sich ein dreizehnjähriger Junge schließlich überall hergeholt haben. Allerdings war es wohl eher ein Versehen gewesen – nicht der Schlag an sich, dafür hatte er dieses Mal zuviel Kontra gegeben, aber das Blut. Viktor, der zugeschlagen hatte, trug seit Anfang der Woche einen silbernen Ring an der rechten Hand, dessen Gegenstück am Finger seiner Freundin saß.
    Unglaublich romantisch.
    Aber wahrscheinlich konnte Patrick noch von Glück sagen, denn hätten sie zum Zeichen ihrer unendlichen Liebe Halsketten ausgetauscht, hätte Viktor ihn damit womöglich noch gewürgt. Er benutzte eben, was er gerade zur Hand hatte. Und dieses Mal hatte sein Ring Patrick die Lippe aufgerissen.
    Nicht zum ersten und ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal fragte er sich, wann sie ihn endlich in Ruhe lassen würden. Immerhin hielten sie sich offensichtlich schon für sehr erwachsen, wenn sie plötzlich Beziehungen mit Mädchen anfingen und Schmuckstücke austauschten. Warum konnten sie dann nicht auch aufhören, ihn zu hänseln? Patrick gab ja zu, dass er – im Gegensatz zu anderen Mitschülern – eine passablere Angriffsfläche bot, weil er ein bisschen übergewichtig war. Oder weil er sich weder die neuesten Markenklamotten noch die neuesten, technischen Spielereien leisten konnte. Weil sein Vater nicht als Arzt oder Anwalt arbeitete und obendrein eine ungesunde Vorliebe für Alkohol entwickelt hatte, so dass sie die sowieso schon mühsam gehamsterten Cents auch noch zweimal umdrehen mussten.
    Trotzdem. Konnten sie es nicht einfach ganz sein lassen, andere zu ärgern? Oder wenigstens nicht immer im Rudel auf ihn losgehen? Da konnte er sich doch gar nicht richtig verteidigen. Und für seinen Vater war er dann wieder die weinerliche, fette Lusche, die sich alles gefallen ließ und nach Mama krähte. Nur leider war Mama seit sechs Jahren tot, da half auch alles krähen nicht.
    Patrick merkte erst, dass er sich mit seinen Gedanken in etwas sehr Unerfreuliches hineingesteigert hatte, als lachende Stimmen vom Flur ihn aufschreckten und er seinen leicht verschwommenen Blick bemerkte.
    Oh, hervorragend! Der Tag wurde wirklich immer besser! Jetzt fing er auch noch zu flennen an, oder was?! War er vielleicht wieder sieben geworden,
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