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Fessel Mich

Fessel Mich

Titel: Fessel Mich
Autoren: Nora Wolff
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ohne es mitbekommen zu haben?!
    Hastig wischte er sich mit dem Handrücken über die Augen und machte sich gleichzeitig zur letzten Toilettenkabine auf der rechten Seite auf, die in den vergangenen Wochen sein Zufluchtsort geworden war. Da es allerdings viel zu peinlich gewesen wäre, das zuzugeben, schob er vor, neugierig auf eine weitere Nachricht zu sein – was er auch tatsächlich war.
    Er verschwand in der Kabine und schloss gerade noch rechtzeitig ab, als die Tür zu den Jungenklos aufgestoßen und mehrere herumalbernde Jungen die Toiletten betraten. Vier oder fünf vielleicht. Den Stimmen nach zu urteilen, waren das welche aus seiner Parallelklasse, die über ihren Mathelehrer ablästerten.
    Patrick kümmerte sich vorerst nicht weiter um das unwichtige Gequatsche und begutachtete stattdessen noch mal ihre kleine Unterhaltung auf der Klowand.
    Er wusste gar nicht mehr so genau, wie es dazu überhaupt gekommen war. Irgendwann vor ein paar Wochen hatte er sich in einer Pause genau hier auf dem Klo versteckt, weil Viktor ganz besonders mieser Laune gewesen war und Patrick nicht freiwillig irgendetwas hatte provozieren wollen. Vor lauter Langeweile hatte er dann neben die ganzen sinnfreien Sprüche und Zeichnungen, mit denen die Wände nahezu jeder Kabine zugeschmiert waren, einen halbwegs vernünftigen Satz hingeschrieben: »Lust verkürzt den Weg.«
    Seine Deutschlehrerin hatte diesen Satz, der laut ihrer Aussage von William Shakespeare stammte, im Zusammenhang mit Motivation und so fallen gelassen und irgendwie war er Patrick im Gedächtnis hängen geblieben. Obwohl er nicht so ganz verstand, warum. Immerhin hatte er eine Menge Motivation für nahezu alles, was er in seinem Leben ändern wollte, aber bloß, weil er Lust hatte, schlanker und reicher zu sein, wurde der Weg dorthin bestimmt nicht kürzer oder gar einfacher. Eher im Gegenteil. Jeder Tag auf dieser Schule wurde immer länger und länger, aber es änderte sich trotzdem nichts, obwohl er es versuchte.
    ‚Shakespeare war wohl doch nicht so genial, wie alle immer behaupten‘ , fand Patrick, als er seinen Satz jetzt noch mal durchlas.
    Die Leute auf seiner Schule allerdings auch nicht.
    Jemand hatte in großen Druckbuchstaben und mit fünf Ausrufezeichen: »FICKEN!!!!!« darüber geschrieben, dem sich einige mit: »Jau!«, und: »Geil!« angeschlossen hatten. Ein anderer wies mit roter Schrift darauf hin, dass Gedichte schwul wären, woraufhin offensichtlich jemand mit: »Tod den Schwuchteln«, geantwortet hatte, was jedoch nur noch zu erahnen war, weil quer darüber ein Sticker mit: »Gib AIDS keine Chance!«, und direkt daneben einer mit einem Kondom und: »Mach’s mit!«, geklebt worden war.
    Die Diskussion war etwas aus dem Ruder gelaufen und wanderte über die Klowand in die rechte obere Ecke hoch und obwohl Patrick die eigentlich auch recht interessant fand – die Aktion mit den Stickern stufte er sogar als ziemlich cool ein – galt seine Aufmerksamkeit doch eher dem, was sich unter seinem Satz entwickelt hatte.
    Da hatte nämlich jemand geschrieben: »Der stärkste Trieb in der menschlichen Natur ist der Wunsch, bedeutend zu sein.« Und obwohl Patrick nicht so genau wusste, wie jemand dazu kam, mit so einem Satz zu antworten, fand er sich darin so komplett wieder, dass er, als er ihn zum ersten Mal gelesen hatte, fast das Läuten zum Unterrichtsbeginn verpennt hätte. Außerdem war er so überfahren gewesen, dass er darauf gar nicht hatte antworten können.
    Am nächsten Tag war auch dieser Satz mit lauter Anzüglichkeiten verunstaltet worden, die Patrick jedoch allesamt ignoriert und stattdessen geschrieben hatte: »Ich bin nicht bedeutend. Und ich hab den Satz auch nicht geschrieben, um es zu sein.« Nach längerem Überlegen war ihm nämlich aufgefallen, dass der Satz durchaus auch daraufhin hätte abzielen können, dass er sich durch ein Shakespeare-Zitat profilieren wollte.
    Es hatte fast eine ganze Woche gedauert, ehe ihm von dem Schreiber mit der sauberen, nach links geneigten Handschrift geantwortet worden war. Im Verlauf ihrer Unterhaltung hatte Patrick sowieso feststellen müssen, dass er immer schneller antwortete als sein unbekannter Gesprächspartner. Aber das machte nichts, weil sich in ihm trotz allem das wohlige Gefühl ausgebreitet hatte, so etwas wie einen Freund auf der Schule zu haben – auch wenn er absolut keine Ahnung hatte, wer das war. Selbst das erschien ihm jedoch unwichtig, als er das Gespräch zu Ende las:
    »Ich
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