Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
Vom Netzwerk:
genauso wohl fühlte wie zu Hause, zog er ganz dorthin. Nun sitzt er dort unten im Tagesraum und wiegt sich hin und her. Zwar freut er sich, wenn Harriet kommt, aber sie ist sich nicht immer sicher, ob er sie erkennt, denn inzwischen trottet er ebenso gerne hinter den Schwestern her wie hinter ihr.
    Und dann, im letzten Frühjahr, wurde es für die Außenstehenden deutlich, daß sich da etwas angebahnt hatte zwischen Lyder Halvorsen und Harriet. Wenn man auf der Straße vorbeiging, konnte man sehen, wie die beiden auf der Bank zwischen den prächtigen Pfingstrosen saßen und Kaffee tranken, während die Zwillinge im Garten spielten. An den Abenden begleitete Harriet sie zu ihrer Wohnung, und nach und nach bemühten sich die beiden auch nicht mehr, so zu tun, als ob Harriet zu einer anständigen Zeit nach Hause ginge. Jetzt ist er mit den Töchtern auf Lund eingezogen. Anfangs gab es schon einen gewissen Aufstand deshalb, aber wirklich darüber entrüstet ist eigentlich nur Mutter. Mutter und vielleicht die Schulverwaltung.
    Mutter ist schon sonderbar. Ich glaube zwar, daß sie es Harriet gönnt. Nur scheint sie irgendwie finden zu müssen, es sei Sünde, wenn die beiden unverheiratet zusammenleben. Harriet hat sich aber nicht scheiden lassen wollen, bestimmt denkt sie, daß sie in gewisser Weise Peder damit im Stich ließe. Vielleicht kann sie das nach und nach anders sehen. Vielleicht muß sie sogar, wegen des Lehrers. Die Schulverwaltung sieht so etwas sicher nicht so gern.
    Ich glaube, Mutter hofft, daß sie heiraten, denn wenn sie auch sagt, nach Gottes Wort sei es verkehrt, sich nach einer Scheidung wieder zu verheiraten, so sei es noch schlimmer, »in Sünde zu leben«.
    Meine sonderbare, dumme Mutter! Manches Mal verstellt dir deine Bibeltreue den Blick für die Realitäten, scheint mir, aber ich sage das nicht. Schon lange habe ich aufgehört, solche Sachen mit dir zu diskutieren. Außerdem weiß ich aus Erfahrung, daß du dich mit einer Situation anfreunden kannst, wenn du nur genug Zeit bekommst. Und eines: Du hast Harriet gegenüber nie auch nur ein Wort verloren. – Die Schulverwaltung im übrigen auch nicht, bisher.
    Daß Harriet und Halvorsen einander guttun, ist unschwer zu sehen. Und die Mädchen, die beinahe zu unbändig waren, sind ruhiger geworden und haben sich Harriet auf rührende Weise angeschlossen.Sie hängen ihr an den Rockschößen und haben sogar angefangen, Mutter zu ihr zu sagen, das hörte ich gestern. Und auch ihre Kleidung ist jetzt, seit Harriet das Zepter übernommen hat, so ordentlich. Das gilt im übrigen auch für den Lehrer, und er sieht aus, als gefiele ihm das sehr.
    Ach ja, es ist schön, sie so froh zu sehen, sie, die so tapfer und stark jahrelang einen Kummer getragen hat, der kaum vorstellbar ist. Vielleicht kann sie noch ein Kind bekommen, ich glaube nicht, daß sie schon zu alt dafür wäre. Einen Spielkameraden für dich, mein Kleiner, sollen wir Harriet und uns den wünschen?

65
    Ich sitze auf Jakobs alter Holzbank, auf der er so oft gesessen hat. Sie besteht nur aus einer Bohle mit vier ziemlich provisorischen Beinen, und Wind und Wetter haben sie nicht geschont. Der alte Jakob saß hier oft mit seiner Pfeife, wenn Nils-Jan und ich über die Au gelaufen kamen. Jakob war schon weit über neunzig, als er starb, in dem Sommer, in dem ich zehn Jahre alt wurde. Jeden Tag, wenn das Wetter es einigermaßen zuließ, machte er seinen morgendlichen Spaziergangüber die Felder zur Scheune und saß dann eine Stunde oder zwei mit seiner Stummelpfeife an der Sonnenwand. Mit uns Kindern war er immer ganz geduldig, hörte uns zu und erzählte uns Geschichten von früher. Im Frühling schnitzte er uns Weidenflöten, niemand schnitzte sie so, daß sie solch wunderbare Töne gaben, wie Jakob. Er lehrte uns auch die Kunst, mit leichtem Schlag des Messergriffs an einer bestimmten Stelle der Weidenrinde diese zu lösen, zwischendurch nahm er sie in den Mund und feuchtete sie mit Spucke an. Mir gelang das nie, aber dein Vater hatte es bald raus.
    Stell dir vor, wenn er dich in einigen Jahren mit hinunter zum Bach nehmen würde und geeignete Rindenstücke für Weidenflöten für dich gefunden hätte. Nein, ich darf nicht so denken. Ich darf nicht länger immerzu an all das denken, was er nicht erleben wird, all das, was wir nicht zusammen erleben werden.
    Das Leben muß weitergehen, mein Mädchen, sagt Mutter. Sie hat angefangen, ein bißchen mit mir zu schimpfen, wenn ich zu mutlos bin,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher