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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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und das tut mir gut. Sonderbar zu erleben, wie Mutter inmitten all dieser Merkwürdigkeiten jetzt diejenige ist, die stark ist, sie, die immer so abhängig war von Vater und mir.
    Im Herbst, als ihr klar wurde, daß ich ein Kind bekommen würde, da legte sie sich eine Zeitlang ins Bett, das hat sie nicht mehr getan, seit ich einkleines Mädchen war. Sie fand es so beschämend, daß ich gezwungen sein würde, zu heiraten. Ja, auch ich war nicht besonders froh, als ich merkte, daß du im Anmarsch warst, auch ich nicht, mein Jakob, das muß ich zugeben. Ich sollte doch eine Junibraut sein mit weißem Kleid und Schleier, mit kirchlicher Trauung und großem Fest auf Ås mit hundert Gästen. Bei uns zu Hause hätten wir nicht einmal für ein Drittel Platz, so daß Ragnhild fest entschlossen war, das Hochzeitsfest auszurichten, so wie Mathilde bei ihr.
    Sonderbar, wenn ich bedenke, daß du unehelich geboren bist, genau wie dein Vater – und wie deine Großmutter. Aber deinen väterlichen Hof wirst du erben. Das wurde entschieden, ehe du geboren wurdest, ja ehe wir erfuhren, wie groß dein Anrecht darauf ist.
    Erst nach Weihnachten fingen Ragnhild und ich an, Mathildes Sachen durchzusehen. Ich hatte versprochen, ihr dabei zu helfen. Durch Mutters Depression und meine eigene Morgenübelkeit war die Zeit so schnell vergangen, daß die Weihnachtsvorbereitungen anstanden, ehe wir hatten anfangen können. Nach den ersten drei Monaten gab sich die Übelkeit – mir scheint im nachhinein, als hätte ich mich Tag und Nacht erbrochen. Mutter kam allmählich auch wieder auf die Beine, und sie begann tatsächlich, Babysachen für ihr ungewolltes Enkelkind zu stricken, wenn auch am Anfangetwas mürrisch. Jetzt ist sie genauso verrückt nach dir wie wir anderen. Mutter ist nicht verkehrt, weißt du, wenn man ihr nur Zeit läßt, eine Situation zu akzeptieren. In diesem Frühjahr hätte ich um alles in der Welt nicht ohne sie sein mögen.
    Wir fingen also erst nach Weihnachten an, Mathildes Sachen durchzusehen. Ihre Kammer war den ganzen Herbst hindurch abgeschlossen gewesen und so kalt, daß Ragnhild und ich alles zusammensammelten und nach und nach in die Küche trugen. Im Ofen bullerte es so gemütlich, und Ragnhild hatte wie üblich Kaffee gekocht.
    Eine merkwürdige Sache, hinter einem Menschen, der gestorben ist, aufzuräumen. Du glaubst, du hättest den Menschen ein Leben lang gekannt, und dann entdeckst du, daß er eigentlich vollkommen fremd ist, jedenfalls ein Leben mit Sorgen und Nöten und Freuden gelebt hat, von dem du keine Ahnung hattest.
    Mathilde hat immer zu meinem Leben gehört, und ich dachte, ich würde sie in- und auswendig kennen. Ihre schroffe Art gehörte ebenso zu ihr wie zu Ragnhild ihr Summen und Singen und das Ruhige und Besonnene zu Lars. Ich bin niemals auf den Gedanken gekommen, daß es dafür einen Grund geben könnte. Und es hat uns nie etwas ausgemacht, daß sie hin und wieder kurzangebunden oder verärgert war, denn sie war doch immer so gut zu uns.
    Ragnhild war es, die die Photographie fand, die Mathilde in der Hand hielt, als sie starb. Die ich so gedankenlos in die Nachttischschublade gesteckt und der ich seither keinen Gedanken mehr gewidmet hatte. Wenn ich damals richtig draufgeschaut hätte, wäre vieles anders gewesen, aber ich habe es nicht getan. Dachte vielleicht, es wäre Konrad oder Kristoffer, einer ihrer Vettern. Wahrscheinlicher ist, daß ich überhaupt nicht gedacht habe. Ich sah doch, daß Mathilde tot war, und so steckte ich das Bild einfach in die Schublade und vergaß es.
    Ragnhild bekam einen so komischen, verwunderten Gesichtsausdruck, als sie es aus der Schublade nahm, die sie mitten auf den Küchentisch gestellt hatte, daß ich die Kaffeetasse, die ich gerade zum Mund führte, absetzte und Ragnhild anschaute. Sie sagte kein Wort, reichte mir nur die alte bräunliche Photographie.
    Dein Vater hatte sich im letzten Frühjahr, als er vom Walfang nach Hause kam, einen Bart stehen lassen. Ja, dort unten hatte er den Bart wachsen lassen, wie es die meisten zu tun pflegen, aber auf dem Weg nach Norden rasieren sie sich dann. Er hatte nach der letzten Saison einen Bart behalten, einen steifen rötlichen kleinen Bart, von dem ich nicht besonders begeistert war – er stach und kitzelte so, wenn er mich küßte.
    Aber er kleidete ihn, der kleine Bart! Er sah so gut aus, dein großer schöner Vater mit dem schmalenMund, der geraden Nase und dem witzigen Schwung der Stirn am Haaransatz.
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