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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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weshalb er geradewegs auf Anders zusteuert und ihm die Beute fast aus den dünnen Armen reißt. Aber an Mutund Unternehmungsgeist hat es dem Hoferben von Ås nie gefehlt, auch wenn er nicht so viel an Muskelkraft zu bieten hat, und hier stehen nun sowohl Ehre wie Zukunft auf dem Spiel. Er rafft sich also mannhaft auf, »richtet sich auf zu voller Größe«, wie er es seither zu beschreiben pflegt, das soll heißen bis zu mindestens 1,70 m, und protestiert mit seiner ganzen Würde: »Jetzt wirst du gleich merken, daß ich nicht irgendeiner bin!« Das wird ihm vier verschiedene Dinge einbringen, und zwar in der genannten Reihenfolge: Eine Ohrfeige, »daß die Zähne wackeln«, den Spitznamen »Irgendeiner«, der ihn ein Leben lang begleiten wird, Maren Pütts unsterbliche Liebe, die ihn ein knappes Jahr begleiten und schließlich in Punkt vier münden wird – der Tochter Mathilde.
    Und mit ihr hat meine Geschichte angefangen. Unsere Geschichte. Denn es ist auch deine.

3
    Wie soll ich es nur schaffen, dir alles so zu erzählen, wie es wirklich war?
    Sie heirateten schon im selben Frühjahr, Anders Irgendeiner und Maren Pütt, nach leichtsinnigemUmgang mit Jakobs Scheune, die in dieser Geschichte einen so zentralen Platz einnehmen wird, daß ich dir genausogut gleich jetzt mehr von ihr erzählen kann.
    Jakobs Scheune, die damals gerade neu gebaut war, steht am Ende der Jakobsau, dicht unterhalb des Hügels Jakobshaugen, mit dem Rücken zu den blauenden Bergen, die kleinen, weiß gestrichenen Fenster sind dem Ort zugewandt. – Oh, die blauenden Bergrücken hier im Innern von Vestfold! Es gibt nichts Schöneres als unsere freundlichen, nicht sehr hohen, blauenden Berge!
    Damals stand also die Scheune mit frisch gestrichenen Brettern, gestrichen mit einer roten Scheunenfarbe, die Jakob in Leinöl angerührt hatte, ehe er sie auftrug. Die Farbe färbte auf Marens selbstgenähten Wintermantel aus schwarzem, selbstgewebtem Lodenstoff ab, als sie dicht beieinander an der Scheunenwand saßen und an den Frühlingsabenden dem Sonnenuntergang über der Jakobsau zuschauten, ehe sie hineinschlüpften durch das Scheunentor, das damals noch nicht in den Angeln quietschte, um so der ganzen Gemeinde zu verkünden, daß hier nun die unaussprechlichsten Sachen getrieben würden.
    Anders wurde durch Marens schüchternen Blick und die zarte Gestalt netter, aber das hinderte ihn selbstverständlich nicht, dahin zu gelangen, wohin er wollte.
    Er blätterte sich durch alle ihre Knöpfe und Haken, Rüschen und Spitzen und Bänder mit der gleichen andächtigen Ungeduld, mit der ein Kind in einem schönen Bilderbuch Blatt für Blatt umwendet, so neugierig auf das nächste Bild, daß es sich nicht die Zeit nimmt, erst das Bild zu genießen, auf das es blickt, ehe es weiterschaut.
    Das Resultat war eine hastige Trauung unter Pastor Evensens strengem Blick. Der Pfarrer erinnerte sich durchaus an Marens schlanke Taille vom Konfirmationsunterricht und ärgerte sich, weil seine sittliche Erziehung auf steinigen Grund gefallen war. Doch Maren lächelte so schüchtern und zerknirscht, daß es bei wenigen vorsichtigen Ermahnungen blieb.
    Ich kann sie vor mir sehen, ja, ich weiß ganz genau, wie sie ausgesehen haben, weil sie beim Photographen waren und »abgelichtet« worden sind. Die Photographie steht noch heute auf der Anrichte in der guten Stube auf Ås. Bei passender Gelegenheit wird sie von behutsamen Händen aufgenommen, der Staub abgewischt und vorgezeigt: »Schau, das sind Anders und Maren.«
    Was ich sehe, ist ein Brautpaar vom Ende des letzten Jahrhunderts. Er im schwarzen Anzug, schon als Fünfundzwanzigjähriger kahlköpfig. Sie im schwarzen, auf jeden Fall dunklen Kleid mit einem kleinen weißen Kragen und einer Unmengevon Knöpfen, die ihn in der Hochzeitsnacht verrückt gemacht hätten, wenn er nicht schon mit ihr dahin gekommen wäre, wohin er wollte. – Ein kaltes Vergnügen mag das gewesen sein, in der zugigen Scheune im März und April, aber auf so etwas hat die Liebe ja noch nie Rücksicht genommen.
    Ja, ich kann sie vor mir sehen. Maren hat ein Bukett von weißen Dahlien, das sie zur Seite hält. – Warum hält sie es nicht über die kleine Andeutung eines Bauchs, den man unter dem Kleid erahnen kann? Ist sie, trotz allem, stolz auf das kleine Leben, das Resultat der kalten Frühjahrsnächte in der Scheune?
    Selbstverständlich ist sie stolz. Sie hat einen Hof mit Land und Essensglocke geheiratet. Die ihre eiligen Schläge über
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