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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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genug, ließ Essensglocke Essensglocke sein und ging zufrieden mit einem der zwar weniger vermögenden, aber gutmütigeren Mädchen zum Altar. Nicht alles bekommt man für Geld, Anders Irgendeiner. Selbst wenn es so viel ist.
    Nein, nicht alles bekommt man für Geld. Mathilde, die hatte Essen und Kleidung im Überfluß, bekam aber nur wenig Liebe und hat noch weniger gegeben. Vielleicht gerät sie deshalb so vollständig aus der Fassung, als sie sie zum ersten Mal erlebt. Denn das geschieht so ganz und gar unerwartet.

9
    Wenn der Schnee schön harschig war, hatte es auf dem Hügel hinter Jakobs Scheune immer eine Rodelbahn gegeben. Als ich klein war, rodelte ich mit meinem Vater auf seinem großen alten Schlitten. Hui, was für ein phantastisches Gefühl, an einem sternenklaren Abend sicher an ihn gedrückt zu sitzen und den Hang von ganz oben an hinunterzufahren! Der kleine Hügel in der Mitte des Hangs ließ den Schlitten abheben, ehe er einige Meter weiter auf der kleinen Brücke über den Bach sauste und weit über die Wiese.
    Noch heute kann ich mich an das Kribbeln im Bauch erinnern, diesen Schwindel während der kurzen Sekunde, wenn der Schlitten durch die Luft flog. Ich kann mein eigenes Jauchzen hören und das tiefe Lachen meines Vaters. Und ich spüre die Tränen, die der Wind aus meinen Augen preßte. So anders als meine Tränen heute.
    Wunderbar war es, den Kopf in den Nacken zu legen und die Sterne anzuschauen. Mein Vater lehrte mich viele Sternbilder, aber inzwischen habe ich sie vergessen. Ich kenne nur noch den großen Wagen und den Orion mit dem Gürtel.
    War das der gleiche Schlitten, auf dem Mathilde vor fast vierzig Jahren fuhr? Er könnte es gewesen sein, denn der Schlitten war sehr alt, und ich glaube,Vater bekam ihn von Ås. Er hatte ihn wieder instandgesetzt und dunkelblau angemalt, auf seine ein bißchen schludrige Art, daran kann ich mich erinnern.
    Aber in Mathildes Jugend war der Schlitten neu und schön. Vielleicht hat Anders den für sie gebaut, er war geschickt mit solchen Arbeiten.
    Viele Winterabende lang war Mathilde auf dem Jakobshügel gefahren. Sie hatte bald bei dem einen, bald bei dem anderen der jungen Männer von außerhalb auf dem Schlitten gesessen, und sie ließ sich ein bißchen von ihnen drücken, und sie ließ sich an den Mantelknöpfen herumfingern, ohne dabei anderes zu empfinden als eine leichte Neugier. Kichern sie deshalb so hysterisch, die anderen?
    Jetzt sitzt sie mit einem Neuen oben auf dem Hang, bereit hinabzufahren. Er ist der neue Schweizer auf Ås – ja, du weißt natürlich nicht, was ein Schweizer ist, und wir sagen heutzutage auch meistens Knecht. Er hat vor ein paar Wochen angefangen, und sie hat, um die Wahrheit zu sagen, sich nicht recht entschließen können, ob sie spaßeshalber ein bißchen mit ihm flirten oder ob sie ihn übersehen soll. Besonders interessant anzuschauen ist er eigentlich nicht, findet sie, ein bißchen zu groß und vierschrötig, selbst wenn er an und für sich gut aussieht. Aber die anderen Mädchen finden ihn ganz eindeutig spannend, und das hat Mathildes Interesse geweckt.
    Der Abend ist schön, kalt und klar und dunkelblau. Ein schmaler kleiner Neumond hängt schräg über dem Scheunendach, und dieser Schnitz hat sogar Kraft genug, um einen vorsichtigen und verzaubernden kleinen Schimmer auf die Niederung am Bach zu werfen. An der blauschwarzen Himmelswölbung glitzern Millionen von Sternen und – da fällt eine Sternschnuppe. Wünsch dir etwas, Mathilde!
    Er, der Schweizer – am Anfang konnte ich nicht mehr darauf kommen, wie er noch hieß. Stell dir vor, daß ich das vergessen konnte! Mathilde mag den Namen unzählige Male geflüstert haben, aber anscheinend bin nur ich es, die, ein einziges Mal, gehört hat, wie sie ihn laut aussprach. Und damals habe ich ihn mir nicht eingeprägt. Deshalb dauerte es lange, bis mir sein Name wieder einfiel. Er hieß Harald.
    In dem gleichen Augenblick, wo die Sternschnuppe ihren kleinen leuchtenden Kratzer in die Himmelshaut ritzt, beugt er sich vor, Harald, und legt die Arme um Mathilde, zieht sie fester an sich und flüstert mit warmem feuchtem Atem an ihre Wange: »Na Mathilde, sollen wir es drauf ankommen lassen?«
    Es gibt Augenblicke, da macht unser Lebensweg einen Bogen. Oft durch ein äußeres Ereignis verursacht, aber vielleicht auch genausooft verursacht durch einen Menschen, dem wir begegnenund der uns so unbegreiflich nahe kommt. Oder ist alles ganz anders? Kommen uns
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