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In der Strafkolonie

In der Strafkolonie

Titel: In der Strafkolonie
Autoren: Franz Kafka
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Franz Kafka
    (03.07.1883 - 03.06.1924)
    . Ausgabe, Dezember 2004
    © eBOOK-Bibliothek 2004 für diese Ausgabe
    »Es ist ein eigentümlicher Apparat,« sagte der Offizier zu dem
    Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewisserma-
    ßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Appa-
    rat. Der Reisende schien nur aus Höflichkeit der Einladung des
    Kommandanten gefolgt zu sein, der ihn aufgefordert hatte, der
    Exekution eines Soldaten beizuwohnen, der wegen Ungehorsam
    und Beleidigung des Vorgesetzten verurteilt worden war. Das
    Interesse für diese Exekution war wohl auch in der Strafkolo-
    nie nicht sehr groß. Wenigstens war hier in dem tiefen, sandi-
    gen, von kahlen Abhängen ringsum abgeschlossenen kleinen Tal
    außer dem Offizier und dem Reisenden nur der Verurteilte, ein
    stumpfsinniger, breitmäuliger Mensch mit verwahrlostem Haar
    und Gesicht und ein Soldat zugegen, der die schwere Kette hielt,
    in welche die kleinen Ketten ausliefen, mit denen der Verurteilte
    an den Fuß- und Handknöcheln sowie am Hals gefesselt war
    und die auch untereinander durch Verbindungsketten zusam-
    menhingen. Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben
    aus, daß es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den
    Abhängen herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der Exeku-
    tion nur pfeifen, damit er käme.
    Der Reisende hatte wenig Sinn für den Apparat und ging hin-
    ter dem Verurteilten fast sichtbar unbeteiligt auf und ab, wäh-
    rend der Offizier die letzten Vorbereitungen besorgte, bald unter
    den tief in die Erde eingebauten Apparat kroch, bald auf eine
    Leiter stieg, um die oberen Teile zu untersuchen. Das waren Ar-
    beiten, die man eigentlich einem Maschinisten hätte überlassen
    können, aber der Offizier führte sie mit einem großen Eifer aus,
    sei es, daß er ein besonderer Anhänger dieses Apparates war, sei
    es, daß man aus anderen Gründen die Arbeit sonst niemandem
    anvertrauen konnte. »Jetzt ist alles fertig!« rief er endlich und
    stieg von der Leiter hinunter. Er war ungemein ermattet, atmete
    mit weit offenem Mund und hatte zwei zarte Damentaschentü-
    cher hinter den Uniformkragen gezwängt. »Diese Uniformen
    sind doch für die Tropen zu schwere,« sagte der Reisende, statt
    sich, wie es der Offizier erwartet hatte, nach dem Apparat zu er-
    kundigen. »Gewiß,« sagte der Offizier und wusch sich die von Öl
    und Fett beschmutzten Hände in einem bereitstehenden Was-
    serkübel, »aber sie bedeuten die Heimat; wir wollen nicht die
    Heimat verlieren. — Nun sehen Sie aber diesen Apparat,« fügte
    er gleich hinzu, trocknete die Hände mit einem Tuch und zeigte
    gleichzeitig auf den Apparat. »Bis jetzt war noch Händearbeit
    nötig, von jetzt aber arbeitet der Apparat ganz allein.« Der Rei-
    sende nickte und folgte dem Offizier. Dieser suchte sich für alle
    Zwischenfälle zu sichern und sagte dann: »Es kommen natürlich
    Störungen vor; ich hoffe zwar, es wird heute keine eintreten, im-
    merhin muß man mit ihnen rechnen. Der Apparat soll ja zwölf
    Stunden ununterbrochen im Gang sein. Wenn aber auch Stö-
    rungen vorkommen, so sind es doch nur ganz kleine, und sie
    werden sofort behoben sein.«
    »Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte er schließlich, zog aus
    einem Haufen von Rohrstühlen einen hervor und bot ihn dem
    Reisenden an; dieser konnte nicht ablehnen. Er saß nun am
    Rande einer Grube, in die er einen flüchtigen Blick warf. Sie war
    nicht sehr tief. Zur einen Seite der Grube war die ausgegrabene
    Erde zu einem Wall aufgehäuft, zur anderen Seite stand der Ap-
    parat. »Ich weiß nicht,« sagte der Offizier, »ob Ihnen der Kom-
    mandant den Apparat schon erklärt hat.« Der Reisende machte
    eine ungewisse Handbewegung; der Offizier verlangte nichts
    Besseres, denn nun konnte er selbst den Apparat erklären. »Die-
    ser Apparat,« sagte er und faßte eine Kurbelstange, auf die er
    sich stützte, »ist eine Erfindung unseres früheren Kommandan-
    ten. Ich habe gleich bei den allerersten Versuchen mitgearbeitet
    und war auch bei allen Arbeiten bis zur Vollendung beteiligt.
    Das Verdienst der Erfindung allerdings gebührt ihm ganz al-
    lein. Haben Sie von unserem früheren Kommandanten gehört?
    Nicht? Nun, ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, daß die
    Einrichtung der ganzen Strafkolonie sein Werk ist. Wir, seine
    Freunde, wußten schon bei seinem Tod, daß die Einrichtung der
    Kolonie so in sich geschlossen ist, daß sein Nachfolger, und habe
    er tausend
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