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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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Menschen nur in solchen Phasen nahe, in denen wir besonders verletzbar sind und offen, weil wir an einem »Bogen im Weg« sind? Würden Mathilde und der Schweizer Harald in diesem Frühling und Sommer Seite an Seite auf Ås gelebt haben, ohne viel Notiz voneinander zu nehmen, wenn nicht Mathilde, oder vielleicht auch alle beide, an einem »Bogen im Lebensweg« standen? Ich werde es wohl nie wissen. Aber ich glaube, niemand hat eine solche Macht, dich zu verletzen, wie die Menschen, denen du begegnest, wenn dein Leben diesen Bogen beschreibt.
    Die warme Stimme, der feste, drahtige Körper, die Arme, die sie fest umschlungen hielten, der steife Bart, der sie ein bißchen an der Wange kratzt, als sie ihm das Gesicht halb zuwendet. Sie hatte keine Wahl. Sie konnte es nur drauf ankommen lassen. Sie flüstert ja, und sie sausen den Abhang hinab.
    Jetzt brauche ich Hilfe. Denn das, was jetzt kommt, läßt sich nicht beschreiben. Oder es ist früher schon so viele tausend Male beschrieben worden, daß ich nicht die Illusion hege, es besser zu können, nicht einmal gleich gut. Denn wer kann die alles verschlingende, herzzerreißende Verliebtheit beschreiben, ohne über lauter vollkommenabgenutzte Ausdrücke zu stolpern. »Herzzerreißend!« – Aber es gibt ja doch keine Worte!
    Mathilde liebt. Bedingungslos, sich selbst auslöschend, grenzenlos. Keiner, am allerwenigsten sie selbst, hätte das jemals für möglich gehalten. Denn so ist sie eigentlich nicht. In den fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens hat sie so wenig gegeben – und noch weniger bekommen.
    Der harschige Schnee hielt sich bis weit ins Frühjahr hinein, und die jungen Leute benutzen die langen, dunklen Abende, um auf ihren Schlitten den Jakobshügel hinunterzurodeln. Über die ganze Ortschaft hin waren die Jauchzer der Mädchen zu hören und das frohe Lachen der Jungen. Eigentlich sind ja sowohl Mathilde als auch Harald zu alt für dieses Kinderspiel, aber sie möchten es um nichts in der Welt missen. Sie auf gar keinen Fall.
    Den ganzen Tag geht Mathilde in ungeduldigem Warten umher. Sie macht ihre Arbeit auf dem Hof, wie sie das immer getan hat. Das geht ihr leicht von der Hand, sie ist in praktischen Dingen geschickt. So oft wie möglich macht sie sich außerhalb des Hauses zu schaffen. Steht da und hält Ausschau nach diesem großen, etwas ungelenken Menschen, der schon mit einem kleinen Lächeln ihr Herz in solch rasenden Galopp versetzenkann, daß sie denkt, man müsse außen auf dem blauen Arbeitskittel sehen, wie es pocht und schlägt.
    Abends, nachdem das Vieh versorgt ist, geht sie mit dem Schlitten zum Jakobshügel. Immer wieder fahren sie den Hang hinunter, daß die Eiskruste auf dem Schnee unter den Schlittenkufen knirscht und die Tränen sprühen. Anfangs sitzt sie einfach nur dicht vor ihm, so wie die anderen jungen Leute. Sie genieren sich ein bißchen voreinander, aber ab und zu läßt er seinen steifen Bart ihre Wange streifen. Das ritzt ein bißchen in die weiche Haut, wie die Sternschnuppe am ersten Abend.
    Nach und nach landen ihre Hände in seinen geräumigen Fausthandschuhen. Er faltet seine Finger zwischen ihre, und die Fingerspitzen gleiten vorsichtig über die Haut ihrer Handflächen. Da beginnt ihr Herz geradezu halsbrecherische Übungen zu vollführen. Irgendwann läßt er seinen Mantel aufgeknöpft, um sie noch näher zu haben, sie noch besser zu spüren. Und sie tauscht den dicken Wintermantel gegen den dünneren Gabardinemantel – es ist ja schließlich schon etwas später im Frühjahr und ein wenig milder.
    Eines Abends steckt er seine Hand unter den Gabardinemantel und legt sie auf ihre Brust, und da scheint ihr, als hielte er ihr Herz selbst. Ganz offen und ohne Verteidigung liegt es da und klopftheftig in seiner großen Faust. Aber an diesem Abend bricht der Schnee verschiedentlich unter dem Schlitten. Ein Hauch von Tauwetter weht mit schwachem Sausen über die blauenden Hügel, und die jungen Leute, die laut lachend und scherzend nach Hause gehen, wissen, das war die letzte Schlittentour für dieses Jahr. Mathilde und der Schweizer folgen schweigend nach.

10
    Später wird Mathilde diesen Frühling und Sommer als ihr Leben selbst ansehen. Das, was früher war, liegt wie von Nebel verschleiert, das, was danach kommt, ist nichts als Zeit, Bitterkeit und Träume.
    Aber sie bekommt also diesen Frühling. Sie pflückt Leberblümchen und Huflattich und hört, wie sich die Lerche begeistert jubilierend über die Jakobsau
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