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Eine Freundin zum Anbeissen

Eine Freundin zum Anbeissen

Titel: Eine Freundin zum Anbeissen
Autoren: Franziska Gehm
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Verzwickter Einzug
    A lles begann an einem Spätsommerfreitag. Der »Tag war warm und sonnig, die Vögel in der Reihenhaussiedlung am Rande der Großstadt zwitscherten, ein Mann im weißen Unterhemd wusch sein Auto, eine Frau sah aus dem Fenster und knabberte an ihren Fingernägeln, und ein gescheckter Hund hob sein Bein, um an ein Straßenschild zu pinkeln. Es war ein schöner, verschlafener, normaler Spätsommerfreitag. Bis ...
    ... bis ein großer, grauer Lieferwagen in den Lindenweg einbog. Er schoss mit Karacho um die Ecke, die Reifen quietschten, und aus dem Auspuff kamen drei große schwarzgraue Wolken, als hätte der Wagen Raucherhusten. Der Mann im Unterhemd ließ den Lappen sinken. Die Frau am Fenster biss sich in den Finger, und der Hund pinkelte einen eindrucksvollen Bogen auf den Gehweg, als er sich nach dem Lieferwagen umdrehte. An der Seitenwand des Lieferwagens, kaum lesbar durch eine Schicht Straßendreck, stand Transport de mobilá.
    Vor dem letzten Reihenhaus, dem Haus Nummer 23, hielt der Lieferwagen an, wobei er eine letzte schwarzgraue Wolke ausstieß. Es klang wie ein Seufzen. Die Beifahrertür flog auf, und ein großer, schlanker Mann stieg aus. Er war vollkommen in Schwarz gekleidet, und trotz der Sonne trug er einen schwarzen Umhang, dessen Kragen hochgestellt war. Seine rabenschwarzen, halblangen Haare waren schwungvoll nach hinten gekämmt, und er bewegte sich wie ein Dirigent auf der Bühne. Doch das Auffälligste war sein Schnauzbart. Er erinnerte an zwei riesengroße Lakritzkringel und war so dicht und lang, dass er die Mundwinkel verdeckte und fast bis zum Kinn reichte. Der Mann mit dem Lakritzschnauzer war Mihai Tepes.
    Mihai Tepes war anders als andere Männer. Genau genommen war er gar kein Mann. Mihai Tepes war ein Vampir. Er wurde vor 2676 Jahren als zweiter Sohn einer ehrwürdigen Vampirfamilie in Bistrien, einem kleinen Dorf in Siebenbürgen, geboren. Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt, liegt so ziemlich in der Mitte von Rumänien. Es ist ein schönes Land mit gewaltigen Bergen, rauschenden Flüssen und dichten Wäldern. Mihai Tepes liebte seine Heimat sehr. Trotzdem hatte er sie verlassen. Wegen einer Frau. Wie das nun mal so ist.
    Und das kam so: Vor sechzehn Jahren streifte Mihai durch die Wälder seiner Heimat. Es war ein warmer Tag, doch der Himmel war bedeckt. Mihai war auf der Suche nach einem Nachmittagssnack. Einer Raupe, einem Eichhörnchen oder einem Reh. Auf einem schummerigen Waldweg sah er eine hübsche, rotwangige Touristin. Sein Appetit wurde sofort riesengroß. Er schlich sich von hinten an, legte seine Hände um ihre schmalen Schultern und biss sie voller Leidenschaft in den Hals. Blind vor Appetit hatte Mihai eins übersehen: Die hübsche Touristin trug eine Halskrause. Ein paar Tage zuvor hatte sie beim Wandern in den Karpaten einen Unfall gehabt. Pech für Mihai, Glück für die Touristin. Sie schrie auf, aber nur vor Schreck. Mihais Zähne hatten sich bloß in die Halskrause gebohrt. Er riss sich los und sah die hübsche Touristin verwirrt an. Was war das für eine Frau, an der er sich beinahe die Zähne ausbiss? Er sah zwei große, nachtblaue Augen – und pardauz! – war es um ihn geschehen. Es war Liebe auf den ersten Biss. Elvira, so hieß die Touristin, ging es nicht anders. Es folgten Küsse, Liebesschwüre, Mondscheinspaziergänge und Streit ums Putzen. Um die Sache kurz zu machen: Drei Jahre später heirateten Mihai und Elvira. Vier Jahre später bekamen sie Zwillinge: Silvania und Dakaria.
    »Elvira, Silvania, Daka! Die Möbel sind da! Rapedadi, kommt!«, rief Herr Tepes. Seine Stimme dröhnte durch die Vorstadtstille wie eine Tuba. Dann wandte er sich wieder dem Fahrer zu, der ausgestiegen war und sich eine Zigarette anzündete.
    Im Lindenweg Nummer 23 flog die Haustür auf, und eine zierliche Frau mit rotem Wuschelkopf und einem nachtblauen Kleid, das perfekt zur Farbe ihrer Augen passte, lief mit kleinen schnellen Schritten auf den Lieferwagen zu. Das war Elvira Tepes. »Mihai! Potztausend, da seid ihr ja schon!«
    Hinter ihr folgte ein Mädchen mit einer schwarzen kurzen Hose, schwarzen Netzstrümpfen und schwarzen Knöchelschuhen mit lila Schnürsenkeln. Auf ihrer blassen, kleinen Nase saß eine große schwarze Fliegersonnenbrille. Die pechschwarzen Haare standen in alle Richtungen ab und erinnerten an einen Seeigel. Das war Dakaria Tepes, die ihren Namen jedoch nicht sonderlich schön fand und deshalb darauf bestand, einfach nur Daka
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