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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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Kind hinauszwingen will, hier und jetzt. Ich will dieses Kind nicht! Ich kann dieses Kind nicht haben!
    Sie haben ihr ein Handtuch übers Gesicht gelegt. Beim Laut des zarten kleinen Schreis schiebt sie dann doch das Handtuch zur Seite und sieht einen Augenblick lang die neugeborene Tochter, als sie der Helferin der Hebamme in die Hände gelegt wird. Das geschieht routiniert, vielleicht etwas jäh, worauf das Kind in einer reflexhaftenBewegung hilflos mit den Armen rudert, wie es alle normalen, neugeborenen Kinder machen würden, wenn sie fühlen, die Unterlage ist nicht sicher.
    Diese Bewegung, diese verzweifelte »laßt mich nicht fallen, bitte verliert mich nicht«-Bewegung wird Mathilde durch Tage und Nächte begleiten, ein ganzes langes Leben lang, bis in den Tod. Diese Bewegung und die heimlichen bitteren Tränen.

67
    Es gibt nicht mehr so viel zu erzählen, mein Jakob. Als Ragnhild und ich erst einmal den unglaublichen Zusammenhang begriffen hatten, war es nicht mehr schwer, ihn bekräftigt zu bekommen. Die Heilsarmee half dabei, sie sind in diesen Dingen routiniert und wissen, wie man vorgehen muß. Die Papiere in Mathildes Truhenfach machten es noch leichter. Sie bewiesen, daß sie am 27. April von einem gesunden Mädchen entbunden worden war, dem gleichen Tag, an dem Borgny geboren wurde, und daß sie das Kind nicht behalten wollte.
    Wie konnte sie es fertigbringen, es wegzugeben?Du bist jetzt wieder wach geworden, das war nur ein kurzes Nickerchen, aber nun ist es wohl soweit, daß du tagsüber immer öfter wach bist. Ich sitze hier mit dir auf dem Schoß und schaue dich an, wie du in den Himmel blickst, und begreife ein wenig, wie schwer es für Mathilde gewesen sein muß. Ich habe dich erst seit wenigen Wochen, aber ich kann mir mein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.
    Ich konnte mir ein Leben ohne deinen Vater ja auch nicht vorstellen, als ich im Winter in Mathildes Kammer wohnte. Ich bin dort hingezogen, um Ragnhild Gesellschaft zu leisten und um ihr auf dem Hof zu helfen. Für einen allein ist das mit all den Tieren auf Ås zuviel. Und Mutter hat ja Vater zu Hause, er ist nicht mehr draußen gewesen, seit ich ein kleines Mädchen war.
    An den Winterabenden saßen Ragnhild und ich zusammen und redeten und redeten, wie phantastisch es sein würde, Nils-Jan zu berichten, wer er ist. Daß wir das nicht schreiben wollten, darüber waren wir uns vom ersten Moment an einig. So etwas kann man nicht in einem Brief schreiben. Und wir freuten uns unbändig auf sein Gesicht, wenn wir es erzählen würden.
    Wir weinten um Mathilde, seine Großmutter, die nie erfuhr, daß sie es war. Sie muß doch gesehen haben, wie er nach und nach immer mehr seinem Großvater glich! Es ist unfaßbar, daß sienichts unternahm, um etwas herauszufinden, aber sie hat wohl geglaubt, es könne nicht sein. Und wir weinten um Borgny, die nie ihre Mutter getroffen hat.
    Wir lachten beim Gedanken an Nils-Jan und Lars und bei dem Gedanken an dich, Mathildes Urenkelkind, das unter meinem blaugepunkteten Umstandskleid immer größer wurde. Wir lachten und machten Pläne und dachten nicht, daß etwas passieren könnte. Durch dunkle Winterwochen hindurch schufen wir uns eine eigene sichere und vertraute Welt, in der behaglichen Küche auf Ås, wo der Ofen bullerte und die Uhr tickte, während der Wind ums Haus pfiff. Eine Welt, eingesponnen in frohe Zukunftspläne und unbekümmerte Erwartung, mit der Trauer um Mathilde als dem wehmütigen, dunkleren Hintergrund für all unsere hellen Träume. Als der Wagen des Pfarrers an einem eiskalten Vormittag im März auf den Hof einbog, kamen wir nicht auf den Gedanken, er könne in offizieller Mission unterwegs sein.
    Der Rest ist nur Zeit, mein kleiner Jakob. Mein Leben ist ein Meer endloser Zeit, von der ich nicht weiß, was ich damit beginnen soll. Der Gedanke, daß ich ohne Nils-Jan leben soll, bis ich alt bin, übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich bin erst achtzehn Jahre alt, und mein Leben scheint schon vorbei zu sein. Ist es das?
    Du liegst da und schaust in den Himmel. DeineAugen werden mit jedem Tag denen deines Vater ähnlicher. Sie spiegeln den Himmel mit
     seinen grauen, ziehenden Wolken, ja, und die Schwalben, die dort oben hin- und herschießen, spiegeln sich in ihnen. Sie fliegen heute höher, mein kleiner
     Jakob. Du wirst sehen, das Wetter wird wieder besser.

Informationen zum Buch
    Sie wächst in einer idyllisch-ländlichen Siedlung südwestlich von Oslo auf, allein mit dem
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