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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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bekommen. Und wahrscheinlich wird Lars niemals mehr aufhören, sich Vorwürfe zu machen, weil er nichts gemerkt und unternommen hat.
    Wie konnte uns so etwas geschehen? Manchmal beneide ich Menschen, denen es geht wie meiner Mutter. Sie sehen einen Sinn selbst in den bedeutungslosesten Sachen. In allem, was geschieht, sehen sie einen höheren Sinn, eine Vorsehung, undes scheint ihnen Trost zu geben. Wir anderen müssen zusehen, wie wir zurechtkommen.
    Es ist jetzt so dunkel um mich, mein Jakob. Ich liege mit dir im Arm in Mathildes Bett und weiß nicht, wie ich es schaffen soll, das alles zu ertragen. Gibt es keinen Ausweg? Mir ist, als wäre ich in einen pechschwarzen Raum eingeschlossen, aber wenn du die Augen aufschlägst und mich anlächelst, wie du es gerade tust, dringt der allererste, klitzekleine Streifen von Morgenlicht in mein Dunkel ein.

63
    Was auch in meinem Leben noch geschehen mag – nein, ich glaube im übrigen eigentlich nicht, daß noch viel geschehen kann. Hätte ich nicht dich, würde ich unter Umständen so denken, wie Mathilde es vielleicht tat, daß nämlich der Rest nur noch Zeit ist – Zeit, Träume und Bitterkeit.
    Was auch geschehen mag, immer wird mir dieses Jahr als das sonderbarste meines Lebens vorkommen – und das traurigste, vermute ich, wie sollte ich sonst leben.
    Wir beide sitzen an der sonnenbeschienenen Wand von Jakobs Scheune. Am Vormittag war esgrau und regnerisch, aber in diesem Moment bricht die Sonne durch die graue Wolkendecke, so daß die kleinen Regentropfen überall glitzern. Du hast gerade etwas zu essen bekommen, und jetzt sollst du in der wunderbaren Tragetasche, die Inger mir geliehen hat, schlafen. Ich habe dich darin über die Wiese getragen.
    Von den nassen Gräsern ist mein Rock am Saum tropfnaß, aber die Luft hat so etwas Wunderbares, frisch Gewaschenes und die Wiese sieht so schön aus, daß man weinen könnte. Gelbe Butterblumen nicken Seite an Seite mit Margeriten und roten Lichtnelken, über ihnen schweben die Blüten des Wiesenkerbels wie hauchdünne Wolken.
    In den schweren Köpfchen des Klees hängen die Hummeln, und bestimmt wird ihnen von all dem Nektar ganz schwindlig. Jedenfalls wirken sie, als irrten sie ziemlich planlos umher. Eine von ihnen ist gerade hier gewesen und hat ein bißchen an dir und mir geschnuppert, als ob wir etwas wären, woran man sich berauschen könnte.
    Die Katzenpfötchen blühen in diesem Jahr besonders schön, ich kann mich nicht erinnern, sie je so gesehen zu haben. Ihre runden rosa Blüten sind wie kleine Polster und so groß wie deine Zehen und ebenso weich und schön anzufühlen. Sie wachsen dort drüben auf dem kahlen Felsrücken, wo der Heckenrosenstrauch steht. Er blüht jetzt. Ich werde mir einige der zarten hellrosa Blütenpflücken, auch wenn die Blütenblätter beinahe sofort abfallen.
    Sicher war der frühe Sommer schön, aber ich muß gestehen, daß ich davon nur wenig mitbekommen habe. Das Frühjahr erinnere ich nur vage als kalt, naß und unendlich traurig. Ich war mit dir im siebten Monat, als dein Vater starb, und von den letzten Wochen der Schwangerschaft erinnere ich mich nur an Tränen, Tränen und nochmals Tränen.
    Die Schneeschmelze setzte mit Regen ein, und draußen in der Natur strömte das Wasser hinab, während drinnen meine und Ragnhilds Tränen ebenso unablässig herabströmten. Lars kam mit dem Sarg nach Hause – man hatte ihn mit dem Flugzeug von Kapstadt heimgeschickt –, und als sie ankamen, begannen Ragnhild und Mutter alles für das Begräbnis zu richten. Ich habe mich um gar nichts gekümmert.
    Ab und zu ging ich spazieren, nicht weil ich wollte, sondern weil Mutter mich zwang, aufzustehen. Da suchte ich alle unsere Plätze auf. Meine Erinnerungen an Nils-Jan liegen in allem, in kleinen Büschen und Steinen, in Bächen und Bäumen und Felskuppen. Meine gesamte Kindheit ist so fest mit ihm verknüpft, und nun ist er fort. Meine schöne, sorglose Kindheit nahm er mit sich, als er starb. Liebster, wie konntest du das tun!
    Das allerschlimmste an der Trauer ist wohl dasWissen darum, daß man wohl nie, nie wieder richtig froh sein kann. Die reine, klare Lebensfreude, die mich einfach erfüllte, ohne daß ich weiter darüber nachdachte, weißt du, mein kleiner Jakob, die werde ich niemals wieder spüren.
    Ich werde ein ganzes langes Leben leben, ohne jemals wieder echte, ungetrübte Freude zu empfinden. Denn so ist es ja wohl? Sogar die Freude über dich wird immer einen
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