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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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Und die Augen, die funkelnden, graugrünen Augen, die im Verhältnis zu seiner Haarfarbe und Haut so dunkel wirkten, weil sie um die Iris einen schwarzen Rand hatten. Ich fand, daß sie dadurch besonders ausdrucksvoll waren. Und dann hatte er lange dichte und dunkle Wimpern und gerade, fein gezeichnete Augenbrauen.
    Er war ein schöner Mann, mein Liebster. Als Ragnhild mir das Bild aus Mathildes Nachttischschublade reichte und ich es richtig betrachtete, da war mir, als sähe ich Nils-Jan ins Gesicht.

66
    Nachdem ich herausgefunden hatte, wie alles zusammenhing, habe ich darüber nachgedacht, wie es für Mathilde gewesen sein muß. Die Monate in Oslo, die Einsamkeit, die Entbehrung, die Bitterkeit über das Verlassenwerden – und dann noch ein Kind austragen, von dem sie weder etwas wissen wollte noch durfte – das muß entsetzlich gewesen sein.
    Ich werde niemals den Augenblick vergessen, als du mir in die Arme gelegt worden bist, nureinige Minuten alt. Du warst ein so herziges, hilfloses Etwas mit deinem runzligen, roten Gesichtchen, daß mir schien, ich müßte schier überlaufen von einer Zärtlichkeit, von der ich vorher nicht geahnt hatte, daß man sie empfinden kann. Ich mußte da an Mathilde denken, die niemals ihr neugeborenes Kind halten durfte, ja ich weiß nicht einmal, ob sie sich das gewünscht hat.
    Sie haben ihr ein Handtuch über das Gesicht gelegt. Der schwache Duft des reinen weißen Leinens schließt sie in eine eigene Welt ein und ist gleichzeitig das Signal dafür, daß bald alles vorüber ist. Sie nähert sich dem Ende der Monate in Scham, Angst und bitterer Einsamkeit. Es wird eine Erleichterung sein, diesen unbequemen Beweis von Liebe und Verrat loszuwerden, der einen immer größeren Platz in ihrem Bauch und immer mehr Aufmerksamkeit forderte. Dennoch klammert sie sich an die Schmerzen, wenn sie wie ein glühender Blitz durch ihr Rückgrat fahren, so allumfassend, so unendlich schwer, daß es nur darum geht, von Sekunde zu Sekunde zu überleben. Sie klammert sich an sie, denn in den kurzen Unterbrechungen zwischen den Wehen spürt sie die kommende Leere und ahnt, daß die noch schlimmer sein wird.
    Sie beschweren sich, sie solle pressen, und sie braucht alle Sinne, all ihren Haß und ihre Bitterkeit,um dieses unerwünschte Leben aus sich herauszupressen. Nur in den kurzen, fast dösigen Pausen, wenn die Schmerzen nachlassen und sie verschwitzt und erschöpft in die Kissen sinkt, tritt vor ihren geschlossenen Augen immer deutlicher ein Bild hervor.
    Sie sieht sich selbst in diesem »Heim für ledige Mütter«, wo sie den Winter zugebracht hat, im Stuhl am Fenster sitzen, eine Hand ruht oben auf ihrem Bauch, und alle Sinne sind nach innen gewandt, auf das Kind gerichtet, das unter der strammen Haut strampelt.
    Bist du das, mein Kleines? Ist das ein kleiner Fuß, den ich mit den Fingern spüre? Oder deine Hand mit geballter Faust, wie ein erster Händedruck zwischen Mutter und Kind? Liegst du mit dem Kopf ganz oben unter meinen Rippen, oder hast du dich schon gedreht, um die Trennung von mir vorzubereiten? Von mir, die deine Mutter ist und nichts von dir wissen will. Wirst du mir einmal vergeben können?
    In den letzten Wochen ist der Schmerz über den Verrat, die Bitterkeit über das Kind und die Angst vor der bevorstehenden Entbindung immer öfter einer widerstrebenden Erwartung gewichen. Erst nur als kurze Augenblicke, aber jetzt, ganz am Schluß, als permanenter Zustand neugierigen Wunderns und einem Gefühl von Zusammengehörigkeit mit diesem Wesen, das so heftig tritt,daß der nächtliche Schlaf gestört wird. Was willst du von mir, Kleines? Versuchst du ein Band zwischen uns zu schaffen, das nicht wie die Nabelschnur durchgeschnitten werden kann, sowie du draußen bist aus meinem Körper? Aber ich will dich ja nicht haben! Kann dich nicht haben. Schon der Gedanke ist sinnlos.
    Und jedesmal gewinnt die Bitterkeit und das Gefühl der Scham und Erniedrigung – du mußt bedenken, das war 1916! Der Gedanke an das Gerede der Leute im Ort, die Sensation, das schadenfrohe Tuscheln der Freundinnen – über die tastend vorsichtigen Träume vom Kind gewinnt das alles die Oberhand. Im Dunkel der Nacht, wenn sie und es eine halb schlummernde, schläfrige Einheit bilden, die das alles beiseite schiebt, sieht sie plötzlich die zornigen Blicke ihres Vaters. Und seine gnadenlose Stimme treibt sie aus dem Bett, rastlos geht sie auf und ab, die Hände über den gewölbten Bauch gelegt, als ob sie das
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