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Alles Gold Der Erde

Titel: Alles Gold Der Erde
Autoren: Gwen Bristow
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    Die Cynthia fuhr nach Kalifornien. Sie war ein schönes Schiff. In den Großsegeln sang der Wind, und die Galionsfigur – eine weiße Göttin – war mit einem Halbmond verziert. Das Schiff hatte New York im Oktober 1847 verlassen. Seit zwei Monaten segelte es auf Südkurs und näherte sich nun Kap Horn.
    Kendra Logan stand auf dem Achterdeck und betrachtete das graue Meer ringsum. Kendra war neunzehn. Sie hatte eine schlanke und feste Figur. Ihr Gesicht war nicht gerade strahlend schön, doch war es immerhin ein Gesicht, das sich die Leute zweimal ansahen. Ihre Nase war wohlgeformt, ihr Kinn eigenwillig und ihr Mund heiter. Ihre tiefblauen Augen wurden von schwarzen Wimpern umschattet. Ihr dunkler Haaransatz wuchs spitz wie ein Pfeil aus ihrer Stirn. Wenn es ihnen gelang, hauchten die Männer gern einen schnellen Kuß auf diese Strähne – ein Küßchen in Ehren natürlich, so wie man seine ehemalige Lehrerin küßt oder seine Tante. Das behaupteten sie wenigstens.
    Kleid, Mantel, Schal – alles war so blau wie ihre Augen, und alles flatterte im Wind. Als eine besonders heftige Bö sie traf, wandte sich Kendra von der Reling ab und blickte zu den Männern hinauf, die sich an den Segeln zu schaffen machten. Ihre Gestalten zeichneten sich hoch am Himmel ab.
    Diese Männer hatten noch nie mit ihr geplaudert, und sie würden dies auch künftig nicht tun. In den Kabinen und auf dem Achterdeck hatten die Seeleute nichts zu suchen. Die Passagiere wiederum hatten woanders nichts zu suchen. Die Arbeit der Matrosen war so hart, daß sie kaum noch die Energie zu sehnsüchtigen Träumen aufbrachten. Als Kendra jedoch zu ihnen aufschaute, wobei der feuchte Nebel sich wie Perlchen in ihren Wimpern einnistete, hielt ein Seemann droben in der Takelage inne und starrte verlangend auf sie herab. Es war ein großer Bursche mit einem rostfarbenen Bart. Er fing ihren Blick auf und grinste sie an. Seine unverfrorene Haltung schien zu sagen: Mädel, du kannst mir schließlich keinen Vorwurf daraus machen, daß ich dich anglotze.
    Kendra wußte, daß sie dieses Lächeln nicht zu beantworten brauchte; sie tat es aber doch. Als das Grinsen des Mannes immer unverschämter wurde, schlug sie allerdings die Augen nieder und kehrte sich wieder der See zu. Während der acht Wochen, die sie jetzt an Bord waren, hatte ihre Mutter sie oft genug gewarnt: Sie solle so tun, als wären die Matrosen gar nicht da. Kendra vermutete, daß diese Warnung berechtigt sei; dennoch wünschte sie, es wäre anders. Es müßte eigentlich ganz spaßig sein, den Mann da oben kennenzulernen. Sie fragte sich, wie ihm wohl auf diesem kalten grauen Meer zumute sein mochte, auf dieser Fahrt nach einem trostlosen Land am Ende der Welt.
    Aber er war ja aus freien Stücken auf diesem Schiff, was sich von ihr nicht behaupten ließ. Die Vereinigten Staaten führten Krieg mit Mexiko, und ihr Stiefvater, der Oberst Alexander Taine, war in eine Stadt namens San Francisco versetzt worden. Er hatte die Fahrt auf einem Truppentransporter gemacht, wo es keinen Platz für Frauen gab. Deshalb folgten ihm nun Kendra und ihre Mutter auf der Cynthia, die – obgleich ein Handelsschiff – einige Passagiere mitnahm. Kendras leiblicher Vater war jung gestorben, und sie war in Internatsschulen aufgewachsen. Jetzt aber war die Schulzeit zu Ende, und zum erstenmal würde sie mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zusammen wohnen, und zwar auf vorgeschobenem Posten bei der Armee.
    Diese Aussicht gefiel ihr ganz und gar nicht. Trotz aller schönen Worte, mit denen man ihr die Reise schmackhaft gemacht hatte, wußte sie sehr gut, daß sie nicht allzugern gesehen wurde. Die beiden hatten viele Jahre ohne sie gelebt, und sie nahmen sich ihrer jetzt nur deshalb an, weil sie nicht länger in der Schule versteckt werden konnte und weil es sonst niemanden gab, der sie hätte haben wollen. Kendra war jung und unerfahren, aber sie war durchaus nicht dumm. Schon seit langem war sie entschlossen, sich keine Sorgen um sich selber zu machen. Sie kam jedoch nicht gegen den Wunsch an, einen Menschen zu kennen, der sich darum kümmerte, was aus ihr wurde.
    Während sie nun hier im Sturm stand, der sie nach Kalifornien hinaufjagen würde, fragte sich Kendra, wie das Leben dort wohl sein werde. Sie konnte sich keinerlei Vorstellungen machen. Mit ihrer Mutter war sie niemals lange beisammen gewesen, und den Obersten Taine kannte sie so gut wie überhaupt nicht. Und was nun dieses Kalifornien anlangte,
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