Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
Hybride aus Waschbrett und Kleiderschrank, der in kurzen, gebügelten Leinenshorts steckt. Der Rivale ist es, der Nebenbuhler, der Feind, mit einem Wort: Rolf.
    «Moment   … Sie sind doch   … der Herr Wallisch, oder?»
    Der Lemming antwortet nicht. Er macht einen Schritt nach vorne, aber bevor er sich noch an dem Hünen vorbei durch die Tür schieben kann, versperrt der ihm den Weg.
    «Ich glaube nicht, dass die Klara mit Ihnen reden will   …», meint Rolf und verschränkt mit neckischem Muskelspiel die Arme vor der Brust. Natürlich spricht er von oben herab, wie könnte er anders, wo er den Lemming doch bei weitemüberragt, dieser blonde, germanische Prinz, dieses männliche
Stürmer-
Pin-up, dieser feuchte Traum jeder großdeutschen Hausfrau   …
    «Die Frau Breitner weiß wohl selbst am besten, mit wem sie reden will   …», gibt der Lemming jetzt zurück, und seine Stimme ist ein einziges Gewittergrollen. «Gehen Sie zur Seite   …»
    Aber Rolf, der Recke, rührt sich nicht vom Fleck.
    «Die Klara hat’s wirklich nicht leicht mit Ihnen, Herr Wallisch   …», sagt er stattdessen. «Wenn ich Ihnen einen wohlgemeinten Rat geben darf   …»
    Ein Zittern läuft durch den Körper des Lemming. Sein Blut wallt auf, rauscht unaufhaltsam durch die Adern in den heißen Schädel und rollt in mächtigen Flutwellen gegen die Augen, gegen die Trommelfelle. Das System steht kurz vor dem Kollaps, die Schaltzentrale vibriert, funkensprühend brennen die Sicherungen durch, und endlich, mit einem lauten, wenn auch nur für den Lemming hörbaren Peitschenknall, reißt der Geduldsfaden.
    Er ballt die Fäuste und schlägt zu.
    Rolf taumelt zurück, im wahrsten Sinn des Wortes vor den Kopf gestoßen. Er fängt sich an der Wand des Korridors, greift sich verwundert ans Kinn, befühlt seine Nase und sieht den Lemming dann an wie jemand, der nicht nur äußerlich aus dem Gleichgewicht geraten ist: verwirrt. Betreten. Ein großer, blonder, begossener Pudel.
    «Dann kommen S’ halt herein, wenn Sie glauben   …», meint er kleinlaut. «Die Klara ist in der Küche   …»
    Es duftet nach frischem Kaffee in der Breitner’schen Stube. Nach frischem Kaffee und frischem Gebäck. Ein gemütlicher Duft. Klara steht im Pyjama am Herd, den Rücken zur Tür gekehrt. Als der Lemming eintritt, dreht sie sich um.
    «Servus, Klara.»
    Kein Gruß. Keine Erwiderung. Nur ein Blick, ein langer, stummer Blick. Nach einer Weile wendet sie sich wieder ab, nimmt die Espressomaschine vom Herd und setzt sich an den schweren Bauerntisch. Gießt sich bedächtig eine Tasse ein.
    «Dein Koffer steht draußen am Gang», meint sie trocken.
    «Mein Koffer? Ach ja, mein Koffer   … Danke   … Nett, dass du ihm nicht auch noch meine Zahnbürste angeboten hast   …»
    «Wem?»
    «Na
ihm
, deinem neuen   … deinem neuen   … was auch immer   …»
    Haltung bewahren, Lemming. Nicht aufstampfen und, vor allem, nicht mit den Armen rudern. Kühl und freundlich bleiben, maßvoll distanziert   …
    «Nein, der Koffer ist unangetastet. Deine Kleider wären dem Rolf ohnehin zu klein   …»
    Der Lemming stampft auf. Schnappt nach Luft. Ringt nach Worten. Rudert hilflos mit den Armen in der Luft herum.
    «Du   … du   … du bist wirklich   … das Letzte!», stößt er hervor.
    Klara steht langsam auf, ohne den Blick von ihm zu wenden. Durch die karierten Gardinen fällt ein Sonnenstrahl, streift ihre glänzenden, schwarzen Haare und ihr Gesicht. Auf ihrer breiten Elfenbeinstirn prangt jetzt die kleine, blaue Ader, die immer hervortritt, wenn sie sich aufregt. Der Lemming hat dieses Zeichen des Zorns und der Lust noch selten so deutlich gesehen   …
    «Ich bin also das Letzte   …», beginnt Klara, und sie spricht in verhaltenem Flüsterton, «ich bin also das Letzte   … Schön. Ich danke dir für deine Offenheit. Dann bin jetzt wohl ich dran,
dir
zu sagen, was du bist   …»
    «Bitte. Tu dir keinen Zwang an.»
    In den folgenden zwei Minuten wird der Lemming ein wahres
Crescendo
erleben: Klara wird sukzessive die Lautstärkeregleraufdrehen, wird ihre Stimme nach und nach bis zum
Fortissimo
steigern.
    «Du tauchst hier einfach so auf, mitten unter der Woche, um fünf in der Früh, ohne Ankündigung, dafür mit frisch gepacktem Koffer. Erwartest dir anscheinend einen Kniefall zur Begrüßung, einen roten Teppich und ein Willkommensständchen der Ottakringer Blasmusik. Rauschst dann beleidigt ab, weil die Welt wieder einmal nicht so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher