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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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    Er kaufte die Pistole in Long Beach, in einem Leihhaus namens Lucky’s. Es war eine Trojan 9mm, so steht es im Polizeibericht. Der Abzugsmechanismus war verrostet, also wechselte er ihn aus, mit einem Bausatz, den er sich übers Internet besorgte. Das war im Mai. Da wohnte er noch in Sacramento, ein junger Kerl mit spröden Lippen, der mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne blinzelte, seine Tage in der Bücherei verbrachte und alles über berühmte Mörder las. Davor war er in Texas, Montana und Iowa gewesen, nirgends länger als vier Monate. Manchmal schlief er in seinem Wagen. Er befand sich auf einer Reise, und jeder Kilometer brachte ihn dem Ende näher.
    Die Trojan war eine von drei Pistolen, die er in diesen Monaten kaufte. Er bewahrte sie im Kofferraum seines Wagens auf, eines alten gelben Hondas, den die Polizei später auf einem Parkplatz in der Nähe des Staples Center in der Innenstadt von Los Angeles fand. Der Tachostand: 337000 Kilometer. In den fünfzehn Monaten, seit er das College abgebrochen hatte, war er unendlich viel gefahren. Hin und wieder jobbte er, um Geld zu verdienen, als Tagelöhner, in Fast-Food-Läden, auf dem Bau. Er meldete sich nirgends an. Alle sagten das Gleiche: Er sei ein ruhiger Kerl gewesen, immer für sich, etwas ernst. Das war später, als in alle Richtungen ermittelt wurde, als jede einzelne Etappe seiner Reise akribisch rekonstruiert und mit Dokumenten belegt wurde. Heute gibt es Tabellen, Bücher werden über den Fall verfasst, aber in den ersten Stunden danach wusste niemand etwas. Wer war dieser junge Mann? Woher kam er? Es heißt, die Natur hasst das Vakuum, das Leere – CNN hasst es noch mehr. Bereits Sekunden nach dem ersten Schuss suchten Journalisten nach einem Zusammenhang, spulten das Band zurück, analysierten Winkel und ballistische Kurven. Innerhalb weniger Stunden hatten sie einen Namen und Bilder parat. Darauf ein junger Mann mit wachem Blick und blasser Haut, der in die Sonne blinzelte. Er wirkte nicht so martialisch wie der gewehrschwingende Lee Harvey Oswald, aber im Licht der Geschehnisse hatten die Fotos etwas Prophetisches, wie man es etwa in Babyfotos von Hitler erahnen mag. Dieser finstere Schimmer in seinen Augen. Und doch, was genau ließ sich da schon erkennen? Es waren schließlich nur Fotos. Je näher man heranging, desto körniger wurden sie.
    Wie bei allen Geschehnissen, die historisch genannt werden können, bleiben manche Details undurchdringlich und geheimnisvoll. Da sind einzelne Lichtblitze. Ein unerklärtes Echo. Selbst heute noch, nach vielen Monaten, gibt es Leerstellen, Tage, über die niemand etwas weiß, in einigen Fällen sogar Wochen. Wir wissen, dass er im August des vorangegangenen Jahres in Austin, Texas, ehrenamtliche Arbeit geleistet hatte. Die Leute dort erinnern sich an ihn als einen aufgeweckten Kerl, der sich schwer ins Zeug legte. Zehn Monate später arbeitete er als Dachdecker in Los Angeles, die Fingernägel schwarz von Teer, ein magerer junger Mann, der auf glühend heißem Schiefer hockte und die rauchige Luft einatmete.
    Da war er schon länger als ein Jahr unterwegs. Ein Auto-Hobo, der sich im großen amerikanischen Nichts verlor. Irgendwann unterwegs begann er sich Carter Allen Cash zu nennen. Ihm gefiel der Klang der Silben, das Gefühl, das sie auf seiner Zunge hinterließen. Eigentlich hieß er Daniel Allen. Er war zwanzig Jahre alt. Als kleiner Junge hatte er keinerlei aggressive Neigungen gezeigt, er hatte keine Spielzeugpistolen gesammelt und auch keine anderen Gegenstände als Waffen benutzt. Er rettete Vögel, die aus dem Nest gefallen waren, und teilte, was er hatte, mit anderen. Und doch zog er jetzt durchs zweispurige Texas und probierte auf kleinen Schießständen mit Zigarettenkippen auf dem Boden Automatikwaffen aus.
    In klaren Mainächten saß er in irgendwelchen Motelzimmern auf dem Fußboden, feilte an seinen Plänen. Er spielte mit Patronen, schüttete sie aus ihrer Schachtel und ließ sie durch seine Hände klackern. Er war ein menschlicher Pfeil, der unausweichlich auf etwas zuraste. Die Fernsehnachrichten zeigten Bilder von Politikern, die in Provinzlokalen und verstaubten Farmhäusern des Mittleren Westens Reden hielten. Es standen Wahlen an. Wähler und Kandidaten, Experten und Geld – alle bewegten sich auf ein großes demokratisches Ereignis zu. Die Vorwahlen waren so gut wie gelaufen, Parteitage wurden vorbereitet. Auf seinem Motelzimmerboden malte sich Carter Allen Cash aus,
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