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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt
Autoren: Stefan Slupetzky
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nicht mehr ertragen haben, haben Sie   …»
    … haben Sie sich selbst erschossen, denkt der Lemming denSatz zu Ende. Er reißt die Arme hoch, wirbelt herum, doch zu spät. In seinen Ohren explodiert schon der Schuss. Ein Knall, der ihm das Trommelfell zerfetzt   …
    Beinahe jedenfalls.
    So also ist es, wenn man stirbt   …
    Beinahe jedenfalls.
     
    Auf dem Boden findet sich der Lemming wieder, und er findet sich am Leben. Lange liegt er nur so da, mit aufgerissenen Augen, und lauscht dem Dröhnen in seinem Kopf. Schließlich hebt er die Hände, ganz vorsichtig, und betastet seinen Körper, sein immer noch angstverzerrtes Gesicht, seine Schläfen. Keine Schmerzen, keine neuen jedenfalls. Keine Löcher in seinem Leib, die nicht schon vorher da gewesen sind. Nur Blut, frisches Blut, und davon eine ganze Menge   …
    Um ihn und auf ihm ist nicht mehr viel Leben. Rechts die gläsernen Augen Adolf Krotznigs, die wachsbleiche Haut, der halb geöffnete Mund, aus dem es noch immer ein wenig nach Kognak riecht. Und links Dieter Tobler.
    Sein schlanker Leib liegt im saftigen Gras, sein roter Schopf ist auf der Brust des Lemming zur Ruhe gekommen. Sehr rot, dieser Schopf, und dieses Rot kommt von innen   … Über dem Haaransatz hat sich ein Krater aufgetan, ein kleiner Vulkan aus Knochen und Hirn, dort sickert es munter heraus, rinnt über die Stirn des Arztes und tropft auf Nestor Balints weißes Hemd, auf seinen Anzug. Der Lemming starrt auf die Wunde, ertappt sich dabei, einen Blick in Toblers Schädel erhaschen zu wollen, ins Haupt Gottes sozusagen, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein winziges, beinah unmerkliches Zucken um Toblers Mundwinkel, ein letzter Versuch, wie es scheint, dem Schicksal, dem Leben, dem Tod mit einem überlegenen Lächeln zu begegnen   … Lange noch wird sich der Lemming fragen, ob dem Arzt diesesLächeln gelungen ist oder ob er noch rechtzeitig da war, der Tod, um es im Keim zu ersticken   …
    «Ich fürchte, den Herrn Doktor hat das Zeitliche gesegnet   … Wenn ich Ihnen vielleicht behilflich sein dürfte, Herr Wallisch   …»
    Schlanke Hände wälzen die Leiche von ihm, ergreifen seine Arme, zerren ihn hoch.
    «Für den Herrn Bezirksinspektor bin ich wohl zu spät gekommen   … ein Jammer   … Friede seiner Asche   …»
    Krotznigs Kollegin wiegt betrübt den Kopf hin und her, hakt dann den Lemming unter und zieht ihn mit sich.

32
    «Es ist in höchstem Maße Ekel erregend, zum Kotzen, wenn ich das so formulieren darf   …»
    Inspektor Wilma Pollak schließt das lederne Buch und lehnt sich zurück. Blass ist sie jetzt, fast grün im Gesicht; der Lemming hätte ihr so viel Empfindsamkeit gar nicht zugetraut. Aber vielleicht, so denkt er, ist es ja nur das Grün des Waldes auf ihrer hellen Haut.
    Sie sitzen im Schatten des halb verfallenen Pavillons, den der Lemming schon gestern, auf seinem Spaziergang mit Rebekka Stillmann, besucht hat. Sie sitzen Seite an Seite und grübeln, und ihre stummen Gedanken übertönen das Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Windes bei weitem. Schließlich wendet sie sich dem Lemming zu, bedeutet ihm, die Arme vorzustrecken, und nimmt ihm die Handschellen ab.
     
    Gemeinsam sind sie in Richtung
Walhall
zurückmarschiert, der Lemming hinkend und lahm, die Polizistin mit eiligen Schritten, schweigsam und grüblerisch. Offenbar gab es da etwas, das ihr Sorgen bereitete, vielleicht die Fülle von Arbeit,die nun auf sie wartete. Oder, so hat der Lemming überlegt, geht ihr Krotznigs Tod etwa mehr zu Herzen, als sie zugeben möchte?
    «Tut mir Leid für Sie, das mit dem Major   …»
    Da ist sie stehen geblieben und hat den Lemming stirnrunzelnd angesehen.
    «Sollte ich Ihnen den Eindruck vermittelt haben, dass mir der Herr Bezirksinspektor näher stand, als es seinem Charakter angemessen war, dann lassen Sie mich das mit dem gebotetenen Nachdruck berichtigen. Was mir dagegen weit mehr zu denken gibt, ist die Frage, inwiefern Sie, Herr Wallisch, in die ganze Sache verwickelt sind. Zugegeben, ich habe die letzten Worte dieses Doktor Tobler gehört, und es spricht, wie ich meine, alles dafür, dass er es ist, der die Morde zu verantworten hat   … Aber klug werde ich trotzdem nicht aus alledem. Ich denke, Herr Wallisch, ich werde Sie besser verhaften   …»
    Und mit diesen wohlgeformten Worten hat die Frau Inspektor ein Paar Handschellen aus ihrer Jacke gezogen.
    «Aber ich schwöre Ihnen   …»
    Er hat den Satz nicht zu
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