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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt
Autoren: Stefan Slupetzky
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jetzt damit?»
    «Ja   … Was geschieht jetzt damit?» Wilma Pollak betrachtet Toblers Notizbuch. Wiegt es nachdenklich in ihrer Hand und schlägt es endlich auf. Sie blättert sich langsam von hinten nach vorne, fährt mit dem Finger die Zeilen entlang, bis sie die Stelle gefunden hat, die sie sucht.
    «Sie entfesselten auch meine Phantasie von Anfang an   …»,
beginnt sie zu lesen.
«Bis ins Letzte berechenbar in ihrer positivistischen Denkensart und ihrem Überschwang, waren sie mehr als geeignet für einen kunstvoll erdachten, handgefertigten Schicksalsschlag   …»
Noch einmal blättert sie weiter, dann wieder zurück, und atmet tief durch, wie um sich selbst zu ermutigen. Sie legt das Buch übers Knie, rafft kurz entschlossen die hintersten Seiten zusammen und reißt sie mit einem Ruck heraus.
    «Wenn Sie so freundlich wären, Herr Wallisch, das hier zu entsorgen   … Der Rest wird nach meiner bescheidenen Meinung für eine adäquate Rekonstruktion der Geschehnisse ausreichen.»
    Und sie legt die zerknitterten rosa Bogen in die Hände des Lemming.
    «Danke, Frau Inspektor   … Danke   …»
    «Ich bin es, die zu danken hat. Wie Sie wohl aus eigener Erfahrung wissen werden, laufen genügend Psychopathen herum, die der Exekutive das Leben schwer machen. Ich kann darauf verzichten, mich auch noch mit dem jungen Herrn Stillmann herumzuschlagen. Oder gar mit seiner Mutter   …»
    «Aber   … Was werden Sie schreiben? Ins Protokoll, meine ich?»
    «Es wird nicht allzu schwierig sein, die Sache mit dem Apothekerpaar zurückzuverfolgen. Vielleicht sogar diesen scheinbaren Unfall im Waisenhaus. Und was die große Pointe der Geschichte anbelangt: Man wird sich etwas zusammenreimen. Die besten Pointen entstehen aus dem Stegreif   …»
    Wilma Pollak nickt dem Lemming zu und steht auf.
    «So Leid es mir tut, Herr Wallisch, aber nach dem tragischen Hinscheiden des Herrn Bezirksinspektors bin ich ja nun ganz auf mich alleine gestellt. Die Arbeit ruft, Sie wissen schon   …»
    «Sperrst du den Tatort und sicherst die Spur, machst du gute Figur auf der Kommandantur», grinst der Lemming. «Ja, ich kann mich dunkel erinnern.»
    Die Polizistin lächelt zurück. «Wollen Sie mich begleiten?»
    «Ich denke, Sie werden ohne mich schneller sein», meint der Lemming. «Wir sehen uns dann später   …»
    «In Ordnung   …»
    Mit festen, fast militärischen Schritten entfernt sich die kleine Frau, als dem Lemming noch etwas einfällt.
    «Frau Inspektor?»
    «Ja?»
    «Sagen Sie   … Ihr Vater ist doch Hausbesitzer   … Glauben Sie, er hat eine freie Wohnung für mich?»
    Wilma Pollak denkt kurz nach und meint dann, ohne eine Miene zu verziehen: «Selbstverständlich, Herr Wallisch. Es ist gerade erst eine frei geworden. Schlüsselfertig und möbliert.
    Wollen Sie sie?»
    Aber da winkt der Lemming dankend ab.

33
    «Komm, Wallisch, steig ein, ich bring dich nach Hause.»
    Ein wenig abseits der Freitreppe
Walhalls,
vor der sich ein beachtlicher Wagenpark aus blaulichtbewehrten Funkstreifen und schwarzen Dienst- und Leichenwagen angesammelt hat, wartet ein klappriger 2CV mit zurückgeklapptem Verdeck: Professor Bernatzkys berühmte rote Ente. Bernatzky sitzt hinter dem Steuer, rundlich und klein, und putzt seine Brille. Auf seiner hohen Stirn, die bis in den Nacken reicht, glitzern winzige Schweißtröpfchen. Es wird ein warmer Tag.
    «Na komm schon   …»
    Der Lemming steigt ein.
    «Grüß Sie, Professor   …»
    «Servus, Wallisch.»
    Beim dritten Versuch springt krächzend der Zweitakter an. Ein heftiger Ruck, und sie fahren.
    «Müssen Sie gar nicht hinauf   … zu den Toten?»
    «Aber geh, Wallisch, was brauchen mich die Toten? Das können meine Kollegen genauso gut erledigen. Glauben sie jedenfalls. Für die Binnenwasserleich heut Nacht haben s’ mich schließlich auch nicht g’rufen   … Außerdem is heut Samstag, heut hab ich frei.»
    «Danke», murmelt der Lemming. «Danke, dass Sie gekommen sind   …»
    Auf halber Strecke zwischen Walhall und dem Pförtnerhaus steht ein Mann am Straßenrand. Ein kleiner, grauer, regloser Mann. Der Lemming klappt das Fenster hoch und winkt ihm zu. Aber der Mann winkt nicht zurück. Seine dunklen Augen folgen dem Wagen bis hin zum weit geöffneten Haupttor, an dem zwei Uniformierte Wache halten. Der Lemming beachtet die beiden Polizisten nicht, die vor Bernatzkys Ente salutieren und den Weg freigeben. Er streckt den Kopf ausdem Fenster und winkt und winkt, bis
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