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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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paar Tage ungestörten Urlaub gönnten. Laura und Mike, enge Freunde der Waltons, beide berufstätig und kinderlos aus Überzeugung, mokierten sich oft über den ewig gleichen Trott, in den Gail und Jack verfallen seien: Florida mit den Kindern im Winter, Cape Cod allein im Sommer. Laura war Sozialarbeiterin, Mike Rechtsanwalt. Die beiden zog es ständig in exotische Länder. Letztes Jahr waren sie in Indien, im Jahr davor in China gewesen. Gail lockte weder Indien noch China. Diese Länder waren zu weit entfernt von allem, was ihr Geborgenheit einflößte: ihr Heim, ihre Familie, die Stadt, in der sie aufgewachsen war. Vielleicht bin ich in einen gewissen Trott verfallen, dachte Gail. Aber ich hab’ ihn mir wenigstens selbst ausgesucht. Inmitten von Trubel und Aufregung hatte sie sich nie wohl gefühlt. Das war einer der Gründe für das Scheitern ihrer ersten und für den Erfolg ihrer zweiten Ehe. Mark war unberechenbar gewesen, Jack dagegen plante jeden Schritt im voraus. Mark setzte sich ins Auto - er fuhr einen ausländischen Sportwagen von leuchtender Farbe mit Metallic-Effekt - und sauste ab ins Blaue. Er wußte nicht, wo er hinwollte, und er benutzte keine Straßenkarte. Wenn er sich verfuhr - und das passierte ihm ständig -, kurvte er lieber stundenlang in der Gegend herum, als jemanden nach dem Weg zu fragen. Es schien ihm gleichgültig zu sein, ob er sein Ziel erreichte oder nicht.
    Jack Walton hingegen plante jeden seiner Schritte im voraus.
Seine Zeit war genau eingeteilt, bis auf die Minute. Jeder erledigte Punkt auf seinem Terminkalender wurde ordentlich durchgestrichen. Wenn Jack irgendwohin mußte, sei es in einen anderen Ort oder auch nur in einen anderen Stadtteil, dann nahm er am Abend zuvor die Straßenkarte zur Hand und suchte sich die beste Route heraus. Alle zwei Jahre kaufte er einen neuen Wagen, immer einen weißen und stets ein amerikanisches Modell. Jack kam nie zu spät. Mark hatte Gail schrecklich nervös gemacht. Bei Jack fühlte sie sich geborgen. Das Gefühl der Sicherheit schätzte Gail mehr als alles andere in ihrem Leben. Carol, ihre Schwester, war das genaue Gegenteil. Sie ähnelte Mark, und Gail hatte oft gedacht, ihr erster Mann wäre mit ihrer jüngeren Schwester gewiß glücklicher geworden als mit ihr. Carol hatte Mark zwar angehimmelt, war aber zu rastlos gewesen, um die fünf Jahre auszuharren, die es dauerte, bis Gails Ehe zerbrach. Sie war nach New York gezogen, hatte erst mit einem Maler zusammengelebt, dann mit einem anderen, war später auf Tänzer übergewechselt und schließlich - vermutlich aus schierer Lust an Extremen - bei einem Börsenmakler gelandet. Mit ihm wohnte sie nun schon zwei Jahre zusammen. Mark hatte vor drei Jahren wieder geheiratet. Julie war eine wundervolle Frau, die Mark vergötterte und Jennifer wie ihre eigene Tochter behandelte. Auch dafür war Gail dankbar.
    Mein Leben, hätte sie den Zeitungsleuten gesagt, die später eine Erklärung von ihr erbetteln wollten, als sie zu schwach und hinfällig war, um ihnen zu antworten, mein Leben ist genauso, wie ich mir’s erträumt habe.
    Ihr Tagesrhythmus änderte sich fast nie. Punkt sieben Uhr fünfzehn an jedem Schultag klingelte der Wecker. Es kostete sie keine Überwindung, das Bett zu verlassen. Sie war von Kind an Frühaufsteherin gewesen und liebte den Morgen ganz besonders. Sie duschte, zog sich rasch an und ging hinunter, um das Frühstück zu machen. Jack und die Kinder ließ sie noch ein Weilchen schlafen. Gail genoß diese ersten Minuten des Tages
für sich allein. Während sie den Tisch deckte und Kaffee kochte, ließ sie ihre Gedanken treiben. Ohne an etwas Bestimmtes denken zu müssen, entspannte sie sich und schöpfte Kraft für die kommende Stunde, in der sie sich abhetzen mußte, um die Mädchen für die Schule fertigzumachen.
    Vor allem Jennifer machte ihr Mühe. Wie die meisten Teenager drückte sie sich abends vor dem Zubettgehen und war morgens kaum wachzukriegen, gleichgültig, wie lange Gail sie schlafen ließ. Wenn sanftes Schütteln und Rufen nichts fruchteten, mußte Gail ihre älteste Tochter buchstäblich aus dem Bett zerren. Erst wenn sie wie eine zerzauste Puppe am Boden lag, öffnete Jennifer widerstrebend die Augen.
    Cindy bereitete ihrer Mutter wesentlich weniger Schwierigkeiten. Seit sie ein Baby war, hatte sie sich in jeder Beziehung leichter lenken lassen als Jennifer. Gail brauchte ihr nur sanft über die Stirn zu streichen, und schon schlug das Kind die großen
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