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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin
Autoren: Martin Davies
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    Donnerstagabend beim Präparator
    An jenem Donnerstagabend arbeitete ich bis spätabends. Ich war dabei, den Schädel einer toten Eule zu entfernen. Es war November, aber die Lampe an meiner Werkbank brannte so heiß, dass meine Hände schwitzten. Ich war beim schwierigsten Teil der Operation angelangt: den Schädel ganz behutsam den Hals hinabzuschieben, ohne die Haut zu verletzen. Als ich ihn abzulösen begann, musste ich vor lauter Konzentration blinzeln. Aber ich spürte, dass es gelingen würde, dass ich es richtig machte, und als hinten in der Werkstatt das Telefon schrillte, ging ich nicht dran. Es war zu spät für eine Aufforderung, ins Pub zu kommen. Obwohl ich das Schild abmontiert und mich aus den Gelben Seiten hatte streichen lassen, meldeten sich die Kneipenwitzbolde (»Ich hätte da ein Huhn, das soll ausgestopft werden...«) noch ab und zu. Meist riefen sie um diese Zeit an, aber heute Abend hatte ich keine Lust, mich auf das Spiel einzulassen. Doch da fiel mir Katya ein, und ich überlegte es mir anders.
    Katya war die Studentin, der ich die Wohnung oben vermietet hatte. Es waren immer Studenten, denn wegen der toten Tiere, auf die sie im Flur stoßen konnten, verlangte ich nur eine geringe Miete. Sie waren bereit, darüber hinwegzusehen, weil die Wohnung zentral gelegen war und weil meine Studenten am naturwissenschaftlichen Institut die Hand für mich ins Feuer legten. Studenten sehen über vieles hinweg, wenn man einen Ruf als Rebell genießt, und an einem so furchtbar ernsten Rettet-die-Welt-Institut qualifizierte ich mich auch dadurch, dass ich Motorrad fuhr und mich weigerte, der Marschrichtung der Universität hinsichtlich der aktuellen Konservierungstheorie zu folgen. So einfach war das.
    Es war eine separate Wohnung. Haustür und Treppenhaus, aber nur sehr wenig sonst hatten Katya und ich gemeinsam, und in den paar Monaten, seit sie eingezogen war, hatten wir nur ab und zu ein höfliches Lächeln und fast noch weniger Worte gewechselt. Ungefähr alle zehn Tage rief ihre Mutter aus Schweden an, und ich schrieb getreulich eine Nachricht auf einen gelben Block, den ich dann unten an die Treppe legte, zusammen mit dem Hinweis, Katya könne ihrer Mutter ja die Nummer des Telefons oben geben. Am nächsten Tag war die Nachricht weg, aber ihre Mutter rief weiterhin unten an. Sie war eine höfliche Frau, die ein wenig mit ihrem Englisch kämpfte und bemüht war, sich keine Besorgnis anmerken zu lassen. Sie tat mir Leid. Und deshalb zog ich, obwohl die Eule gerade Gestalt anzunehmen begann, meine Handschuhe aus und nahm den Hörer ab.
    Es war nicht Katyas Mutter.
    Es war eine Stimme, die ich vierzehn Jahre nicht mehr gehört hatte. Eine fast vergessene, unendlich vertraute Stimme.
    »Fitz«, fragte sie, »bist du’s?«
    »Gabriella.« Eine rhetorische Feststellung, wenn es so etwas gibt.
    »Ja, ich bin’s. Es ist lange her, Fitz.«
    Ob das ein Vorwurf oder eine Entschuldigung war, blieb unklar.
    »Ja, sehr lange.« Es klang, als würde ich mich verteidigen. »Aber deine Briefe hab ich bekommen.«
    »Du hast nicht geantwortet.«
    »Ich bin kein großer Briefschreiber, das weißt du ja.«
    Das konnte sie nicht leugnen. Ich war berühmt dafür.
    »Hör mal, Fitz, ich bin ein paar Tage in London und würde dich gern mit jemandem bekannt machen. Er ist Sammler und hat etwas ziemlich Interessantes zu erzählen. Ich glaube, es wird dich interessieren. Was hast du morgen Abend vor?«
    Ich betrachtete die Reste der Eule auf der Werkbank. Sie würde ihr Heil im Kühlschrank suchen müssen.
    »Nichts Besonderes.«
    »Gut. Dann um sieben im Mecklenburg, in der Bar? Das ist nicht weit von der Oxford Street, gleich bei Selfridges.«
    Typisch Gabriella: Sie wusste, dass das Mecklenburg Hotel nicht zu meinen üblichen Trinklokalitäten zählte.
    »Okay, dann morgen um sieben...«
    »Ich freu mich darauf, dich zu sehen. Ich habe Karl gesagt, wenn jemand ihm helfen kann, dann du.«
    »Karl?«
    »Karl Anderson.«
    »Ah, ja. Der Sammler. Ich hab was über ihn gelesen. Und was für eine Art von Hilfe soll das sein?«
    Sie schwieg einen Moment. Sie hatte nie gern etwas am Telefon besprochen.
    »Nicht jetzt. Warte bis morgen. Aber die Sache wird dich interessieren, Fitz, das verspreche ich dir. Es geht um den Rätselhaften Vogel von Ulieta.«
     
    Sie hatte natürlich Recht. Mein Interesse war geweckt. In jeder Hinsicht. Ich ließ die Eule im Dunkeln zurück und stieg die Treppe hinauf zu dem Zimmer, in dem ich
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