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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen
Autoren: S Rauchhaus
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Kira
    Seele zu verkaufen!
    Das hätte über der Garage stehen sollen, als ich fast unseren gesamten Hausstand darin und davor anbot. Farben und Leinwände meines Vaters, das Puppenbett, das er mir vor einer halben Ewigkeit gebaut hatte, seine Videokamera, das Grammofon meines Urgroßvaters und Schmuck meiner Mutter. Für all das war in meinem zukünftigen Zimmer in der WG kein Platz mehr. Unsere Wohnung musste in einer Woche leer sein – ich hatte endlich einen Käufer gefunden.
    Höflich lächelnd beobachtete ich, wie wildfremde Leute in unseren Sachen kramten und versuchten ihren Wert abzuschätzen.
    »Kann ich das nicht etwas günstiger haben?«, fragte mich ein Mann mit einem strengen Blick und deutete auf das Grammofon.
    »Was würden Sie denn dafür bieten?«, hörte ich mich fragen.
    Mit einer großzügigen Geste zog er einen Schein aus seinem Portemonnaie und legte ihn auf den wackeligen Balkontisch, auf dem ich meine Kasse aufgebaut hatte. Es war knapp die Hälfte von dem, was ich dafür haben wollte. Aber was sollte ich tun?
    Frustriert steckte ich den Schein ein und dachte an die letzten Tage, die ich zwischen Umzugskartons verbrachthatte. Beim Sortieren unserer Sachen hatte ich versucht mir klarzumachen, dass mir niemand meine Erinnerungen abkaufen konnte – auch wenn mir das angesichts mancher Teile schwerfiel. Andererseits: Was konnte mir eine Cartier-Armbanduhr geben, die mein Vater mir in einem Anfall von Großzügigkeit vor zwei Jahren gekauft hatte? Der Ausdruck in seinen Augen würde mir bleiben. Und die Uhr brachte mir jetzt das Geld, das ich dringend benötigte. Dafür behielt ich unsere Fotos und einige Bilder, die Paps gemalt hatte. Und meine Schatzdose aus Kinderzeiten. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln. Damals war ich jeden Tag mit Freunden durch den Wald gestreift und in dieser roten Dose befanden sich meine wahren Schätze: Gold und Diamanten aus alten Piraten- und Räuberzeiten. Hauptsächlich ungewöhnliche Steine und Glassplitter.
    Das Lächeln verging mir, als fünf Minuten später tatsächlich eine Frau meine Cartier-Uhr kaufte. Nun, sollte sie glücklich damit werden. Von dem Erlös konnte ich eine Weile die Miete bezahlen.
    Ein kühler Wind streifte mein Gesicht und ich zog mir meine Strickjacke über. Der April hatte bis jetzt noch nicht sehr viele warme Tage gebracht. Aber vielleicht fröstelte ich auch nicht wegen der Temperaturen.
    Ich musste wohl in Gedanken gewesen sein, denn als plötzlich ein Schatten über meinen Tisch fiel, zuckte ich zusammen. Zumindest hatte ich niemanden kommen hören. Vor mir stand ein großer, etwa sechzigjähriger Mann in einem hellen Trenchcoat, der mich freundlich musterte. Mit seinem dichten, langen grauweißen Haar und der kräftigen Statur erinnerte er mich sofort an einen Bären – einen Eisbären.
    »Sind Sie Kira Tressler?«
    Auf mein Nicken hin reichte er mir die Hand.
    »Ich kannte Ihren Vater nur flüchtig. Trotzdem ist mir sein Tod sehr nahegegangen«, sagte er mit einer angenehm sanften Stimme.
    Mir auch, dachte ich – sagte aber nichts.
    »Als ich von dem Garagenverkauf hörte, musste ich unbedingt vorbeikommen. Er hat mir erzählt, dass er neben seiner Arbeit als Restaurator zur Entspannung gern malte. Falls er Bilder hinterlassen hat, würde es Ihnen doch sicher helfen, wenn sie Ihnen jemand abkauft?«
    Ich nickte. Es gab eine Menge Bilder – mehr, als ich behalten konnte. Und die Galerie, die interessiert gewesen war, hatte mir heute Morgen abgesagt. Noch wusste ich nicht, wie ich über zwanzig Leinwände in meinem neuen Zimmer aufbewahren sollte.
    »Die Bilder sind nichts für einen Garagenverkauf, deshalb stehen sie alle noch oben in seinem Atelier. Können wir vielleicht einen Termin ausmachen? Ich kann hier jetzt nicht weg.«
    »Heute Abend? Um acht?«
    Ich nickte, und als er ging, wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte.

    Pünktlich um acht klingelte es an der Tür. Ein ungewohnt schrilles Geräusch. Seit die Wohnung so leer war, kam sie mir fremd vor. Als ich die Tür öffnete, war ich froh, nicht mehr allein zu sein – obwohl ich von diesem Mann rein gar nichts wusste. Nur dass er Charisma hatte. Sein selbstsicheres Auftreten, wie er seinen Mantel nachlässig über die Umzugskartons warf, sein entschlossener Gang,seine wachen Augen, während er sich forschend umsah und sich dann langsam zu mir umdrehte – das alles rief in mir wieder das Wort »Eisbär« hervor. Aber ich empfand
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