Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen
Autoren: S Rauchhaus
Vom Netzwerk:
es nicht als bedrohlich, sondern beruhigend. So als wäre dieser Fremde gekommen, um mich zu beschützen.
    »Ich freue mich, dass Sie kommen konnten«, sagte ich ganz ehrlich. »Möchten Sie etwas trinken?«
    Sein Blick wanderte in den Raum vor uns – die ehemalige Küche. Kahle Wände mit nackten Rohren. Amüsiert wandte er sich mir zu.
    »Ihre Gastfreundschaft ist vorbildlich, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie etwas anzubieten haben.«
    Mein Lachen hatte etwas Fatalistisches und hallte von den nackten Wänden wider – aber es tat gut.
    »Ehrlich gesagt nein. Die Küche samt Kühlschrank wurde gestern abgeholt. Leitungswasser und ein sauberes Glas gibt es aber noch.«
    Er wehrte ab. »Machen Sie sich keine Umstände. Schließlich ist ein Glas in der Hand ein Zeichen der Unsicherheit. Ein Halt für Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihren Händen.«
    Etwas, was er nicht brauchte. Das war eindeutig.
    Lächelnd führte ich ihn in das Atelier, einen Raum, der in meiner Erinnerung immer vollgestellt und bunt gewesen war. Jetzt herrschten weiße Regale an weißen Wänden vor. Nur ein paar Farbkleckse auf dem Boden deuteten noch darauf hin, dass hier einmal jemand gearbeitet hatte.
    Die Bilder hatte ich im Kreis an die Wände gelehnt, etwa zwanzig Stück, und von keinem trennte ich mich gern.
    »Sind das alle?«, fragte der Eisbär.
    »Nein«, gab ich zu. »Ein paar behalte ich für mich. Sie sind das, was mir von meinem Vater bleibt.«
    »Kann ich die auch sehen?« Seine Stimme klang sehr freundlich, trotzdem sperrte sich etwas in mir.
    »Nein, wirklich …«
    »Nur ansehen? Ich will sie Ihnen ja nicht wegnehmen«, lächelte der Fremde.
    Aber ich schüttelte den Kopf. Instinktiv trat ich vor die Nische, in der die Leinwände mit dem Gesicht zur Wand standen. Meine Lieblingsstücke. Und ein paar von den schrecklichen Bildern, die vermutlich ein Hinweis auf seinen Geisteszustand kurz vor dem Ende waren. Immer wieder das gleiche Motiv: dieser grauenvolle schwarze Klecks in der Mitte, der keine Form und keine Anmut hatte. Ich hatte noch nicht den Mut gefunden, sie zu zerstören, aber ich fand, ich war es Paps schuldig, das irgendwann zu tun. Diese Bilder waren nicht er.
    »Nun … vielleicht könnten Sie auch alle Bilder behalten.«
    Die Stimme des Mannes riss mich aus meinen Gedanken. Was meinte er?
    »Lassen Sie uns über den Auftrag sprechen, den Ihr Vater für mich übernehmen sollte. Ich habe gehört, Sie haben ihm in den letzten Jahren beim Restaurieren geholfen?«
    Ich nickte nervös.
    »Und Sie sollen angeblich fast so gut sein wie er?«
    Kopfschütteln. Nein, das konnte ich mir nun wirklich nicht auf die Fahnen schreiben. Wer mochte das behauptet haben?
    »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte ich verwirrt.
    Der Eisbär lächelte verständnisvoll. »Ich möchte Ihnen eine Möglichkeit bieten, Ihr Studium zu finanzieren.«
    Das versuchte ich bereits selbst. Ich schob abends Paletten durch den Baumarkt und half am Wochenende im Eiscafé aus. Aber das ging auf Dauer ganz schön an die Kondition und ich ahnte, dass es trotzdem niemals reichen würde.
    »Ich möchte Ihnen den Auftrag erteilen, ein Fresko zu restaurieren«, fuhr er mit verschränkten Armen fort. »Ein sehr altes Fresko. Und weil es eine Arbeit für einen Profi ist, möchte ich Ihnen den Preis zahlen, den Ihr Vater dafür bekommen hätte. Fünfundzwanzigtausend Euro.«
    Das Atmen fiel mir plötzlich so schwer, als drückte eine Eisenspange auf meine Brust. Ich musste mich verhört haben. Niemand zahlte einer Abiturientin ohne Ausbildung so viel Geld! So viel Geld … womit ich mir eine eigene kleine Wohnung mieten könnte, in die alles passen würde, was ich nicht verkauft hatte. Geld, womit ich locker studieren könnte. Schuldenfrei und sorgenfrei!
    »Wann und wo?«, fragte ich mit rauer Stimme.
    »Sobald Sie alles geregelt haben. Sagen wir ab dem ersten Juni? Sie können für ein paar Wochen bei mir und meiner Familie einziehen; solange Sie eben für die Arbeit brauchen. Sie hätten dort ein Gästezimmer mit eigenem Bad. Hier ist die Adresse und die Telefonnummer. Sie können es sich gern noch eine Weile überlegen und mich dann anrufen.«
    Als er mir seine Visitenkarte gab, begegnete ich seinem gespannten Blick.
    »Nein«, sagte ich leise.
    »Warum nicht?«
    »Ich meine, ich muss es mir nicht überlegen. Ich nehme den Auftrag an.«
    In seinen Augen glitzerte es, als hätte er sich große Sorgen gemacht, ich könnte ablehnen.
    »Tun Sie mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher