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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen
Autoren: S Rauchhaus
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selbst du nicht sein.«
    »Wenn du meinst«, sagte ich und umarmte Anna.
    »Mach’s gut«, sagte sie. »Und besuch mich demnächst mal in München, bevor das Semester anfängt! Vielleicht kannst du mit meinen Eltern ja mal über die Vorteile eines Kunststudiums sprechen …« Sie lächelte mir verschwörerisch zu. »Ich habe nämlich ganz fest vor, sie zu überreden.«
    An der Furche auf der Stirn sah ich, dass sie starke Zweifel hatte. Und gleichzeitig fand ich, dass sie ernsthafter und erwachsener wirkte als noch vor wenigen Tagen.
    »Ich komme gern und ich werde ihnen sagen, dass du echtes Talent hast. Aber ich glaube, du brauchst meine Unterstützung gar nicht«, sagte ich. Und das meinte ich auch.
    Zuletzt blieben Jessy und Lara vor mir stehen. Jessy und Lara mit ihren Schatten.
    »So, jetzt bist du an der Reihe! Gehen wir zusammen?«
    Ich biss mir auf die Lippe. »Nein, tut mir leid. Ich bleibe noch ein wenig. Aber ich besuche dich sehr bald, damit wir reden können, okay?«
    Sie zögerte und nickte. »Ich weiß, dass du viel für uns riskiert hast. Vielen Dank!«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab vor allem für mich viel riskiert. Und wenn ich dabei auch etwas für euch getan habe, hab ich das von dir gelernt. Wie so vieles …«
    Sie lachte auf. »Mach dich nicht schlechter, als du bist. Wir Zombies sind jedenfalls zufrieden!«
    Ich lachte mit ihr. Doch als sie eine Hand auf meine Schulter legte, wurde sie wieder ernst. »Kira …«. Eine steile Falte zeigte sich auf ihrer Stirn. »Überleg dir gut, was du tust! Wenn du blind in einem Labyrinth stehst, brauchst du eine Hand, der du vertrauen kannst.«
    »Ich weiß!«
    Ihre Mundwinkel zuckten und ich umarmte sie und drückte sie noch einmal ganz fest.
    Einige Minuten später waren wir allein. Cyriel und ich, ganz allein in dieser Burg. Er gab mir meinen Schatten wieder und das war ein Gefühl, als würde eine Leichtigkeit mich erfüllen, mit der ich sofort abheben könnte. Als Erstes befühlte ich mein Gesicht. Aber das wäre nicht nötig gewesen und ich brauchte auch keinen Spiegel – Cyriels Augen sagten mir, dass es gelungen war. Und dass er nach Worten suchte, was er mir zum Abschied sagen wollte. Ich schüttelte den Kopf und zog ihn mit mir.
    »Ich habe nicht mehr lange«, sagte er und blieb so angewurzelt stehen, dass ich ihn loslassen musste. »Und ich möchte nicht, dass du dabei bist.«
    Ganz langsam ging ich auf ihn zu und versuchte in seinem Gesicht seine Gefühle zu lesen. Und ich wollte, dass er meine las.
    »Ich habe eine Theorie und die möchte ich beweisen«, sagte ich leise und küsste ihn auf den Mund. Wieder nahm ich seine Hand und nun folgte er mir.
    In der Mitte des Verlieses sah Cyriel sich um, als sähe er das zerstörte Fresko zum ersten Mal. Aber er betrachtete nicht die schwarzen Figuren, stellte ich fest. Nur die unzerstörten Fenster im Hintergrund.
    »Das ist die Landschaft, die man aus meinem Elternhaus sehen konnte«, sagte er. »Wenn ich meinem Vater nicht bei der Arbeit helfen musste, war ich als Kind gern am Fluss. Ich hab mich immer gefragt, wo all das Wasser wohl hingeht. Und ob ich auch mal so weit reisen würde.«
    »Dann bist du also der Junge, der am Fluss steht, mit dem Blick in die Ferne?«
    Ich spürte einen Kloß in meinem Hals, wenn ich an das Kind dachte, das seine Zukunft noch vor sich hatte.
    Er nickte. »Ich bin später tatsächlich viel gereist. Mein Vater wollte mich zwingen Holzfäller zu werden, aber ich hatte meine eigenen Pläne und bin weggelaufen. In einem anderen Land bin ich Maler geworden, weit weg von zu Hause. Manchmal habe ich es bereut, ohne Wurzeln leben zu müssen, und oft habe ich von dieser Landschaft geträumt. Als ich sicher war, dass ich an diesem dunklen Ort sterben würde, war es das, was ich als Letztes sehen wollte.«
    Ich stellte mich hinter ihn und schlang meine Arme um ihn. »Aber du bist hier nicht gestorben.«
    »Doch. Nur mein Schatten hat überlebt. Ich nicht.«Cyriel drehte sich um. Und nun geh!, sagten seine Augen, aber er sprach es nicht aus.
    »Und ich soll dich hier zurücklassen und ein zweites Mal sterben lassen? Das werde ich nicht tun«, erklärte ich. Dann ließ ich ihn los, nahm einen Pinsel vom Tisch und eine der Sprühflaschen. Ich öffnete sie, tunkte meinen Pinsel in den letzten Rest Schwarz und kam auf Cyriel zu.
    Mit beruhigender Geste wehrte er mich ab. »Glaubst du ernsthaft, ich möchte lieber in eine andere Welt gehen? Dort habe ich keine besseren
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