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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen
Autoren: S Rauchhaus
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an ihn.
    »Oder ein bisschen davor …«, erwiderte Cyriel trocken. »Aber keine Sorge. Ruben ist ohne das dunkle Messer und ohne viel Lebenskraft gegangen. Ihm wird kaum Zeit bleiben, um ein neues Messer herzustellen. Die Zeit der Schattenjagden ist damit beendet.«
    »Was ist los, Ruben?«, brüllte vor der Tür eine laute Stimme. Gabriels Stimme!
    »Die Schattenjagden gehen weiter. Hier!«, stöhnte ich.
    Cyriel schüttelte grimmig den Kopf, ließ mich los und stellte sich vor die Tür. Mit einer schnellen Geste deutete er auf den Arbeitstisch.
    Ich folgte seinem Blick, nickte und tat, was er wollte.
    »Wir kommen jetzt rein!«, brüllte Gabriel ungeduldig und die Klinke bewegte sich einige Male auf und nieder. Stille. Plötzlich erzitterte die Tür unter einem heftigen Stoß und Cyriel verzog schmerzhaft das Gesicht. Dann deutete er lautlos neben sich auf den Boden undmachte ein eindeutiges Zeichen mit der Hand über den Hals. Inzwischen verstanden wir uns auch ohne Worte, kurz darauf war ich so weit. Während Cyriel sich in die Schattengestalt zurückverwandelte, legte ich mich hin und streckte mich so aus, dass ich möglichst tot aussah, mit dem Gesicht nach unten.
    Cyriel öffnete die Tür. Da man diese verdammten Schatten nicht hören konnte, konnte ich nur vermuten, dass sie alle hereinkamen.
    »Was ist passiert?«, fragte Gabriel mit schneidender Stimme. Ich war mir sicher, dass er mich gerade entdeckt hatte.
    »Ruben hat sie getötet«, sagte Cyriel sehr, sehr leise und er klang, als wäre er wirklich überzeugt davon. »Dann hat er unsere Schwarz-Vorräte mitgenommen und ist in sein Schattenreich gegangen.«
    »Was?« Das klang nach Antonia, völlig verzweifelt.
    »Ich musste die Tür so lange zuhalten«, fügte Cyriel hinzu. »Er hat versprochen, dafür Kira ihren Schatten zurückzugeben – und sie am Leben zu lassen. Der Mistkerl!«
    »Warum sollte er das tun? Allein gehen?«, fragte Richard.
    »Er hat uns von Anfang an betrogen«, keuchte Gabriel, dessen Stimme so gepresst klang, als würde er gleich platzen. »Er wollte von Anfang an ohne uns gehen. Kann man ihm verdenken, dass er uns nach vierhundert Jahren satthat?«
    »War er das?« Diese Frauenstimme kannte ich nicht. Sie klang kratzig und rau – wie eine Stimme, die lange nicht benutzt worden war. Das musste Katharina sein! Ungläubig – und stinkwütend. »Hat er uns alle im Fresko schwarz übermalt?«
    »Ja, und er hat den Schattenlosen ihre Schatten zurückgegeben«, fügte Cyriel hinzu. »Er wollte nicht, dass wir noch die Kraft haben, ihm zu folgen.«
    »Ich spüre schon, dass ich schwächer werde«, erklärte Jolanda panisch.
    Was Einbildung bewirken kann!, dachte ich erstaunt.
    »Und wir haben leider kein dunkles Messer mehr, um neue Besucher ins Haus zu holen«, sagte Antonia mit einem Unterton, den ich an ihr nicht kannte.
    »Meint ihr nicht, es ist besser so?«, warf Cyriel ein. »Wir haben bisher vom Tod anderer Menschen gelebt!«
    »Glaubst du, wir wollen hier elend verrecken?«, gab Antonia mürrisch zurück.
    Gabriel fauchte. »Ganz bestimmt nicht! Nicht mit mir! Wo ist er durchgegangen?«
    »Mitten durch das tiefste Schwarz«, sagte Cyriel ruhig. »Dahinter liegt das Schattenreich, wie er es immer versprochen hat.«
    Ich wagte, kurz die Augen aufzuschlagen, um nichts zu verpassen. Vor dem Bild drängten sie sich zusammen wie eine Gewitterwolke. Sie streckten sich zur Wand hin und begannen in das Schwarz einzutauchen. Fast gleichzeitig ertönte ein Wimmern. Als einzelne Gestalten fuhren sie zurück und auseinander. Die Teile, die ihre Arme sein mochten, waren kürzer als zuvor. Ich spürte ihre Wut wie ein Knistern in der Luft.
    »Jetzt!«, rief Cyriel unnötigerweise.
    Ich stand bereits und zog die beiden Sprühflaschen hervor, die ich mit meinem Körper verdeckt hatte. Eine warf ich Cyriel zu, mit der anderen hielt ich auf die Schatten drauf. Wieder ballte sich das Dunkel im Raum wie eineGewitterwolke zusammen, ein Schatten suchte Schutz hinter dem anderen. Aber es war zu spät. Ihre Schreie hallten schrecklich von den Wänden wider. Das Schwarz verschluckte die Schatten mitleidlos, als hätte es sie nie gegeben, und wir hörten erst auf, als die Sprühflaschen leer waren. Wohin wir sie damit schickten, wussten wir nicht. Nur dass sie dort nicht lange überleben würden.
    Wenn ich zuvor noch ein schlechtes Gewissen gehabt hatte, so war es spätestens mit Antonias Äußerung verschwunden. Antonia, die ich immer bedauert hatte!
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