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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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Verkörperung des wohltuenden Normalmaßes, fragte sie um Rat, verließ sich auf ihren gesunden Menschenverstand. Ihren Bekannten vermittelte Gail die beruhigende Gewißheit, die Welt könne durchaus in Ordnung sein, und ein anständiger Mensch erhalte seinen gerechten Lohn auf Erden. Hätte man sie aufgefordert, ihr seelisches Befinden in einem Wort zusammenzufassen, so hätte Gail Walton den Begriff »zufrieden« gewählt. Sie repräsentierte heute all das, was sie immer hatte sein wollen.
    Doch um siebzehn Minuten nach vier an einem besonders warmen, sonnigen Aprilnachmittag wurde alles anders.

2
    Sie sah die Polizeiautos, als sie um die Ecke bog, und wußte instinktiv sofort, daß sie vor ihrem Haus hielten. Panik ergriff sie. Die Tüten und Päckchen entglitten ihren Händen. Gail stand wie angewurzelt und starrte auf die Wagen. Sie hielt den Atem an, zog den Bauch ein und drückte den Rücken durch. Im nächsten Moment rannte sie aufs Haus zu. Vergessen waren ihre Einkäufe; sie sah nur die Polizeiautos. Ihre Armbanduhr zeigte siebzehn Minuten nach vier. Für sie stand in diesem Augenblick die Zeit still.
    Später, viel später, als das Beruhigungsmittel, das man ihr gegeben hatte, zu wirken begann und ihre Gedanken zwischen Traum und Wirklichkeit schwebten, ging ihr wieder und wieder der Verlauf dieses Tages durch den Sinn. Sie überlegte, was hätte anders sein können, und spürte, daß es ihre Schuld war. Sie hatte die Routine durchbrochen.
    Morgens, gleich nachdem Jack und die Mädchen gegangen waren, hatte Lesley Jennings Mutter angerufen. Lesley habe sich die halbe Nacht lang übergeben. In der Schule grassiere ein Virus, da habe das Kind sich wohl angesteckt. Leider könne sie heute nicht zur Klavierstunde kommen. Gail hatte die junge Mutter getröstet. Ihr fiel ein, wie sie sich früher aufgeregt hatte, wenn Jennifer einmal krank war, während sie jetzt bei Cindy die Ruhe selbst blieb. Der jungen Frau gab sie den Rat, den die besorgte Mutter gewiß auch schon vom Kinderarzt bekommen hatte: Lesley solle im Bett bleiben, keine feste Nahrung zu sich nehmen, aber möglichst viel trinken. Mrs. Jennings schien dankbar für den Rat und gestand schuldbewußt, daß sie verzweifelt nach einem Babysitter für ihre Kleine suche, weil sie unbedingt ins Büro müsse. Gail verwies sie an die Tochter einer Freundin, die vor kurzem mit der Schule fertig geworden war und sich bestimmt gern ein paar Dollars nebenher verdienen würde. Wieder bedankte Mrs. Jennings
sich überschwenglich und wünschte Gail, ihre Kinder mögen von dem Grippevirus verschont bleiben, der anscheinend durch alle Schulen Livingstons geistere. Wahrscheinlich war der viele Regen in letzter Zeit schuld daran. Es sei wirklich typisch für ihre Tochter, sich ausgerechnet jetzt anzustecken, wo das Wetter sich endlich bessere. Kinder sind eben regelrechte Brutstätten für Viren, dachte Gail, als sie auflegte.
    Es war ein herrlicher Tag, viel zu schön, um ihn im Haus zu verbringen. Spontan griff sie erneut nach dem Telefonhörer und rief Nancy Carter an, die flatterhafteste unter ihren Freundinnen. Gail bezweifelte, daß je ein ernsthafter Gedanke ihren oberflächlichen Sinn getrübt hatte. Nancy war zweiundvierzig. Ihr Mann hatte sie vor fünf Jahren wegen einer jüngeren Frau verlassen, und seitdem verbrachte Nancy einen Teil des Tages bei ihrer Masseuse und den Rest im Tennisclub. Sie war der geborene Käufertyp und kannte kein größeres Vergnügen, als Geld auszugeben, besonders das ihres Exmannes. Sie befaßte sich mit Astrologie, okkulten Wissenschaften und E. S. P. Nancy behauptete zwar, sie könne in die Zukunft blicken, doch als ihr Mann ihr damals eröffnet hatte, er wolle sie verlassen, um mit seiner Maniküre zusammenzuleben, da war sie als einzige aus ihrem Freundeskreis völlig überrascht gewesen. Ihre Zeitungslektüre beschränkte sich auf die Klatschspalten. Sie wäre wohl kaum in der Lage gewesen, einen der beiden Senatoren zu benennen, die ihren Heimatstaat in Washington vertraten, aber sie kannte die intimsten Details aus Dustin Hoffmans Privatleben und sämtliche Skandale der sensationslüsternen Joan Collins. Gails Freundin Laura klagte häufig über Nancys mangelnden Tiefgang, doch Gail fand ihre Oberflächlichkeit und Ichbezogenheit eher amüsant, und die strahlende Sonne heute lud förmlich ein zu einer unbeschwerten Plauderei beim Schaufensterbummel. Die Mädchen brauchten etwas Leichtes zum Anziehen. Na, und ich auch,
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