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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug
Autoren: Joy Fielding
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dachte Gail. Nancy war auf dem Sprung, als Gail anrief. Sie hatte einen Termin bei ihrem Therapeuten.
Die beiden Frauen verabredeten sich zum Lunch im »Nero«.
    Es wurde ein vergnügliches Essen. Gail brauchte nicht viel zur Unterhaltung beizutragen. Sie saß nur lächelnd da und hörte Nancy aufmerksam zu. Wenn sie mit etwas, das Nancy behauptete, nicht einverstanden war, so behielt sie es für sich. Nancy interessierte sich sowieso nicht für die Meinung anderer Leute, sondern nur für ihre eigene. Während Nancy Carter wortreich von ihrer Sitzung beim Therapeuten berichtete, dachte Gail, ihre Freundin sei wohl egozentrischer als alle Frauen, die sie kannte. Gleichgültig, wovon die Rede war oder was auf der Welt geschah, Nancy fand stets einen Weg, es auf sich zu beziehen. Als das Gespräch auf Indira Gandhi kam und man die unsichere politische Lage diskutierte, in der sich die indische Regierungschefin befand, sagte Nancy: »Also ich weiß, wie ihr zumute ist. Mir ging’s haargenau so, als ich für das Präsidentenamt in meinem Club kandidierte.« Ihre Ichbezogenheit war ihr größter Charakterfehler, machte in Gails Augen aber auch ein Gütteil ihres Charmes aus. Ihre Freundin Laura hingegen nahm Anstoß daran. Sie verdrehte ständig vor Empörung die Augen, wenn sie zu dritt zusammen waren. Doch Gail hatte gelernt zu akzeptieren, daß man mit Nancy Carter nur über Nancy Carter sprechen konnte.
    Gail hörte sich an, daß Nancys Therapeut ihre Depressionen auf Schmerzen an der Wirbelsäule zurückführe (ohne die Freundin mit dem Hinweis zu unterbrechen, daß die meisten Menschen über Vierzig mit einem Rückenleiden zu kämpfen hätten). Mochten die Fehler ihrer Freunde noch so zahlreich sein, Gail wußte, daß man an ihr gegebenenfalls ebenso viele finden könnte. Wie in der Ehe, so kam es letztlich auch in einer Freundschaft darauf an, den Partner mit all seinen Schwächen zu akzeptieren, wenn man die Beziehung nicht gefährden wollte. Wer dazu nicht in der Lage war, der mußte lernen, allein zu leben. Gail war noch nie gern allein gewesen. Am wohlsten fühlte sie
sich als Mitglied einer Familie. Nancy hatte sie nach Short Hills, ein exklusives Geschäftsviertel, geschleppt. Sie bummelten von Boutique zu Boutique, angeblich auf der Suche nach Kleidern für Gails Töchter, aber Gail merkte bald, daß Nancy schon nach wenigen Minuten in der Kinder- und Jugendabteilung unruhig wurde und erst dann wieder bei Laune war, wenn sie für sich etwas zum Anprobieren fand. Die Zeit verstrich wie im Flug. Als Gail auf ihre Armbanduhr sah, stellte sie erschrocken fest, daß es schon nach drei war. Da sie unmöglich vor ihren Kindern zu Hause sein konnte, rief sie in Jennifers Schule an und ließ ihr ausrichten, sie solle gleich nach dem Unterricht heimgehen und auf Cindy warten. Erst als Nancy sich verabschiedete, weil sie um halb vier einen Termin beim Friseur hatte, konnte Gail in Ruhe etwas für sich und die Kinder aussuchen. Sie war nicht mit dem Wagen in die Stadt gefahren, und das herrliche Wetter verlockte sie dazu, einen Teil des Heimwegs zu Fuß zurückzulegen. Es war Viertel nach vier durch, als sie in ihre Straße einbog. Normalerweise wäre sie um halb vier zu Hause gewesen. Normalerweise hätte sie die Kinder bei ihrer Rückkehr von der Schule daheim erwartet. Normalerweise wäre sie jetzt schon zur Hälfte mit der Klavierstunde fertig und würde im Geiste das Wochenende der Familie planen. Aber sie war von ihrer Routine abgewichen.
    »Was ist hier los?« rief sie und versuchte aufgeregt, den Polizeikordon vor ihrer Haustür zu durchbrechen.
    »Tut mir leid, Sie dürfen da nicht rein«, sagte ein Beamter zu ihr.
    »Aber das ist mein Haus! Ich wohne hier.«
    »Mom!« schrie Jennifer von drinnen.
    Die Haustür flog auf, und Jennifer warf sich unter hysterischem Schluchzen in die Arme ihrer Mutter.
    Gail überlief es eiskalt, dann wurden ihre Glieder taub. Wo war Cindy?
    »Wo ist Cindy?« Ihre eigene Stimme klang fremd in ihren Ohren.

    »Mrs. Walton«, ertönte eine Stimme neben ihr, »ich glaube, wir sollten hineingehen.« Sie spürte einen Arm um ihre Schulter und fühlte, wie jemand sie über die Schwelle zog.
    »Wo ist Cindy?« wiederholte sie ihre Frage, diesmal etwas lauter.
    Der Mann führte sie ins Eßzimmer und schob sie auf das grünrosa gemusterte Sofa. »Wir haben Ihren Gatten verständigt. Er ist schon unterwegs.«
    »Wo ist Cindy?« Gails Augen suchten den Blick ihrer älteren Tochter. Ihr Schrei
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