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WoW 02 - Der letzte Wächter

WoW 02 - Der letzte Wächter

Titel: WoW 02 - Der letzte Wächter
Autoren: Jeff Grubb
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PROLOG
     
     
    DER EINSAME TURM
     
    Der größere der beiden Monde war an diesem Abend zuerst aufgegangen und hing nun silbrig weiß vor einem klaren, sterngesprenkelten Himmel. In seinem schimmernden Licht erhoben sich die Gipfel der Redridge-Berge. Bei Tag zauberte die Sonne Magenta- und Rost-Töne auf die schroffen Granit-Spitzen, doch im Mondlicht erhoben sie sich nur als dunkle, grimmige Schatten. Im Westen erstreckte der Wald von Elwynn seinen schweren Baldachin aus Eichen- und Satinholz bis zum weit entfernten Meer. Im Osten breitete sich der trostlose Sumpf des Schwarzen Morasts aus, ein Land der Marschen und niedrigen Hügel, der Moore und toten Wasser, der gescheiterten Siedlungen und lauernden Gefahren. Ein Schatten huschte am bleichen Antlitz des Mondes vorbei, ein Schatten von der Größe eines Raben. Er hielt auf eine Lücke im Herzen der Berge zu.
    Hier war ein gewaltiger Brocken aus den Rängen der Redrige-Kette gerissen worden und hatte ein kreisförmiges Tal zurückgelassen. Vor Urzeiten mochte hier einmal ein gewaltiger Himmelskörper niedergestürzt sein, der die Gipfel mit der Macht seines Einschlags zum Beben brachte, aber die Erinnerung an diese Heimsuchung war lange verblasst, und die Schale des Kraters hatte sich in einen Kreis steilkantiger Anhöhen verwandelt, kleiner Geschwister der gewaltigen Berge, die väterlich zu ihnen herab blickten. Keiner der alten Bäume von Elwynn wagte sich in diese Höhe, und das Innere des Hügelrings lag öde unter dem Auge des Mondes. Nur verfilztes Unkraut fristete hier ein karges Dasein.
    Im Zentrum des Rings erhob sich ein nackter Hügel, so kahl wie das Haupt eines Kaufmanns aus Kul Tiras. Tatsächlich erinnerte die Art, wie die Anhöhe jäh aufstieg und sich dann sanft zu einem fast flachen Plateau neigte, an die Form eines menschlichen Schädels. Viele hatten dies im Laufe der Jahre bemerkt, doch nur wenige waren mutig oder mächtig – oder taktlos – genug gewesen, ihre Beobachtung gegenüber dem Herrn des Bühls zu erwähnen.
    Auf der abgeflachten Spitze des Hügels erhob sich ein alter Turm, ein riesiger, mahnender Finger aus weißem Stein und dunklem Mörtel, eine von Menschenhand geschaffene Eruption, die stolz in den Himmel schoss und höher kletterte als die sie umstehenden Erhebungen. Der Turm leuchtete bleich im Mondlicht. Eine niedrige Mauer an seinem Fuß umrahmte einen Burghof, in dem die verfallenen Ruinen eines Pferdestalls und einer Schmiede zu erkennen waren. Aber der Turm dominierte alles.
    Einst hatte man diesen Ort Karazhan genannt. Einst war er das Domizil des letzten der rätselhaften Wächter von Tirisfal gewesen. Einst hatte dieser Ort gelebt. Jetzt war er nur noch verlassen und vergessen.
    Ein Schweigen lag über dem Turm, und doch waren Bewegungen in ihm zu erkennen. In der Umarmung der Nacht huschten stille Gestalten von Fenster zu Fenster. Phantome tanzten auf Balkonen und Brüstungen. Weniger als Geister, doch mehr als bloße Erinnerungen, waren sie Treibgut der Vergangenheit, das vom Fluss der Zeit angeschwemmt worden war. Diese Schatten hatte der Besitzer des Turms in seinem Wahn losgebrochen, und jetzt waren sie verdammt, ihre Theaterstücke, ihre Komödien und Tragödien, immer und immer wieder in der Stille des verlassenen Turms aufzuführen. Verflucht zum Inszenieren, wurde ihnen aber gleichzeitig des Künstlers größer Schatz, ein Publikum, das ihre Possen hätte genießen können, verweigert.
    Doch eines Tages brach sich in der Stille das weiche Kratzen eines Stiefels. Es wiederholte sich. Eine Bewegung blitzte im schimmernden Mondlicht auf, ein Schatten vor dem weißen Stein, das Flattern eines zerrissenen, roten Mantels in der kühlen Nachtluft. Eine Gestalt schritt über die oberste Brüstung des Turms, die vor einem Raum lag, der vor Jahren als Observatorium gedient hatte.
    Die Tür zum Observatorium öffnete sich mit kreischenden Scharnieren und stoppte jäh, als Rost und der Lauf der Zeit sie lähmten. Die Gestalt hielt einen Moment lang inne. Dann legte sie einen Finger auf das Scharnier und murmelte ein paar ausgesuchte Worte. Danach schwang die Tür vollends und völlig lautlos auf, die Scharniere waren wie neu. Der Eindringling erlaubte sich ein Lächeln.
    Das Observatorium war als solches unbrauchbar geworden. Was an Apparaturen noch übrig war, lag zerschmettert in der Kammer verstreut. Der Eindringling, selbst fast so still wie ein Geist, nahm ein zertrümmertes Astrolabium vom Boden auf, dessen
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