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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Autoren: W Mass
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noch älter. Im Lauf der Jahre hat Mom die ganzen Löcher mit Flicken aus anderen Stoffen abgedeckt. Inzwischen besteht das Sofa praktisch NUR aus Flicken, aber Mom will sich nicht davon trennen, weil ich ihm einen Namen gegeben habe. So sentimental ist sie. Aber anscheinend nicht sentimental genug, um mir von der Kassette zu erzählen!
    »Du siehst langsam wieder halbwegs normal aus«, bemerkt Lizzy. »Nicht mehr so grün. Na ja, ein bisschen verschwitzt vielleicht.«
    Ich habe im Leben noch nichts erlebt, das sich mit dem Auftauchen dieser Kassette vergleichen lässt. Das gilt gleichermaßen für alle Menschen, die ich kenne. Und für alle, von denen ich je gehört oder gelesen habe. Ich muss dieser Sache auf den Grund gehen, ich muss mir einen Plan zurechtlegen. Ich öffne die Augen und sage: »Lass uns das Ganze noch mal durchspielen.«
    »In Ordnung«, sagt Lizzy und beugt sich erwartungsvoll vor. Lizzy liebt es, Dinge noch einmal durchzuspielen. Wir haben irgendwann im Fernsehen gesehen, wie das ein Kripobeamter gemacht hat, und seitdem lassen wir beide gelegentlich unseren vergangenen Tag Revue passieren. Ich stehe auf und beginne, um den Kaffeetisch zu wandern. »Okay«, sage ich.
»Wir wollten gerade ins Haus gehen, da tauchte Nick auf. Wir haben ihn überredet, uns das große Paket mit dem Namen meiner Mutter drauf zu geben. Wir haben versprochen, es für sie aufzubewahren, und dann haben wir’s versehentlich geöffnet.«
    »So könnte man sagen«, unterstützt mich Lizzy. »Erzähl weiter.«
    »In dem Paket haben wir den Brief eines Anwalts gefunden, der ein alter Freund meines Vaters ist. Er schrieb, er hätte die Schlüssel zu einer Holzkassette verloren, die er mir im Auftrag meines Vaters an meinem dreizehnten Geburtstag geben sollte.« An dieser Stelle unterbreche ich mich und hole tief Luft. »In einem Monat werde ich dreizehn, und jetzt habe ich keine Chance, die Kassette zu öffnen.«
    »Vielleicht hat deine Mutter ja Kopien von den Schlüsseln«, schlägt Lizzy vor.
    »Das bezweifle ich. Harold klingt furchtbar betreten darüber, dass er sie verloren hat, demnach muss er sich ziemlich sicher sein, dass es die einzigen waren.«
    »Und wenn dein Vater die Kassette selbst gebaut hat? Dann liegen die Schlüssel vielleicht bei seinem alten Werkzeug. Nein, warte mal, deine Mutter hat das alles als Spende weggegeben, richtig?«
    Ich nicke und erinnere mich, wie schwer es für sie war, sich von den Sachen meines Vaters zu trennen. »Macht aber nichts. Dad konnte sehr gut Sachen reparieren, trotzdem glaube ich nicht, dass er etwas so Kompliziertes, mit all den Schlüssellöchern, hätte bauen können. Allerdings hat er eindeutig die Inschrift selbst geschnitzt. Er hat sein Holzwerkzeug geliebt.«
    »Ja«, sagt Lizzy wehmütig, wobei sie sich zweifellos an das
Wochenende erinnert, an dem Dad herumlief und in sämtliche Holzoberflächen seine Initialen einschnitt, bis meine Mutter ihm das Werkzeug wegnahm (aber erst, nachdem Lizzy ein Schild mit ihrem Namen darauf für ihre Zimmertür bekommen hatte). »Ein Jammer, dass du sein handwerkliches Talent nicht geerbt hast.«
    »Stimmt, aber hätte ich’s, dann wäre kein Loch zwischen meinem und deinem Zimmer an der Stelle, wo ich damals die Regalbretter aufhängen wollte.« Im Lauf der Zeit haben Lizzy und ich das Loch ausgiebig genutzt, um Zettel mit Botschaften hin und her zu befördern. Ein Glück nur, dass unsere Zimmer Wand an Wand liegen, sonst hätte das Loch womöglich mitten in die Küche der Muldouns geführt.
    »Wir finden einen Weg, die Kassette zu öffnen«, sagt Lizzy entschieden. »Das verspreche ich dir.«
    »Ich will ja nichts sagen, aber deine Versprechen tendieren fast immer dazu, gebrochen oder zumindest nicht richtig eingelöst zu werden.«
    »Diesmal nicht«, sagt Lizzy und springt von Plunder auf. »Komm, wir packen das Paket wieder ein. Deine Mutter muss jeden Moment nach Hause kommen.«
    Ich folge ihr in die Küche und sehe zu, wie sie alle Gegenstände in umgekehrter Reihenfolge ins Paket zurücklegt. Mich beeindruckt, wie sorgfältig sie dabei vorgeht, denn Lizzy ist der unordentlichste Mensch, den ich kenne. Als sie die letzte Zeitungspapierkugel hineinwirft, dämmert mir, dass ich vor meiner Mutter unmöglich so tun kann, als wüsste ich nichts vom Inhalt des Pakets.
    Lizzy greift nach dem langen Klebestreifen, und ich sage: »Gib dir keine Mühe, das wieder zuzumachen. Ich kann Mom
genauso gut gleich sagen, dass ich’s aufgemacht
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