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Man nehme: dich und mich

Man nehme: dich und mich

Titel: Man nehme: dich und mich
Autoren: Jessica Bird
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1. KAPITEL
    Ein einzelner, harmloser Tropfen war die einzige Vorwarnung für den Sturzbach. Er fiel auf die Monatsabrechnung, die vor Frances Moorehouse auf dem Schreibtisch lag, und zeigte ihr noch deutlicher als die roten Zahlen, wie schlecht es um die Hotelpension
White Caps
stand.
    War das Dach etwa schon wieder undicht? So elegant und verwunschen die alte Villa mit ihren vielen Erkern und Türmchen wirkte, die Dachkonstruktion war ein Albtraum. In den vielen Winkeln und Überständen sammelten sich ständig Feuchtigkeit und Laub, und irgendwo gab es bei Regen immer eine undichte Stelle.
    Stirnrunzelnd blickte Frankie aus dem Fenster. Aber es regnete doch gar nicht!
    Als sie zur Decke schaute und den riesigen dunklen Fleck sah, blieb ihr gerade noch Zeit für ein entsetztes “Was, zum Teufel …”, bevor an die hundert Liter Wasser über sie und den Schreibtisch hereinbrachen.
    Leider war es auch kein sauberes Regenwasser, sondern eine übel riechende Brühe, vermischt mit Gipsbrocken aus der Decke und verrotteten Pflanzenteilen. Als der Sturzbach endlich verebbte, nahm Frankie die Brille ab und hob hilflos die Arme.
    Dann hörte sie im Flur Schritte, und sie stand hastig auf und zog die Bürotür von innen zu.
    “Hey, Frankie, ist was passiert?”, erklang von draußen Georges unverkennbare Bassstimme. Doch von ihm war leider keine Hilfe zu erwarten. George arbeitete jetzt seit sechs Wochen im
White Caps
, und manchmal hatte sie das Gefühl, eine Schnecke bewege sich schneller als er.
    Eigentlich hatte sie ihn als Hilfskoch eingestellt, aber die meiste Zeit stand er nur herum und den anderen im Weg – was bei seiner Größe von fast zwei Metern bei an die hundertfünfzig Kilo Lebendgewicht kein Wunder war.
    Am liebsten hätte Frankie ihn schon am zweiten Tag wieder gefeuert, aber er brauchte den Job nun mal. Außerdem hatte er ein gutes Herz und war nett zu ihrer Großmutter.
    “Ist alles okay bei dir?”, fragte er besorgt.
    “Ja, alles bestens.” Es war ihre Standardantwort auf die verhasste Frage. “Kümmere dich um das Brot für die Brotkörbe, ja?”
    “Ist gut, Frankie.”
    Erschöpft schloss sie die Augen. Von der Decke tropfte es noch immer, und sie freute sich nicht darauf, hier sauber zu machen. Aber zum Glück funktionierte wenigstens der Nasssauger noch, die Aufgabe war also zu bewältigen.
    Die finanziellen Probleme von
White Caps
dagegen schienen nie ein Ende zu nehmen. Die große Hotelpension mit angeschlossenem Restaurant stand am Ufer des Saranac Lake in den Adirondack Mountains. Das Haus befand sich seit dem Bau im Besitz ihrer Familie, und zehn der geschichtsträchtigen Räume dienten als Gästezimmer. Doch seit einigen Jahren lief das Geschäft schleppend. Die Leute reisten nicht mehr so viel, es gab weniger Übernachtungen, und auch das Restaurant warf nicht genug ab, obwohl es fast das einzige in der Gegend war.
    Ein Grund für die schlechte Auftragslage war das Haus selbst. Es war im 18. Jahrhundert als Sommerresidenz gebaut worden und musste eigentlich von Grund auf renoviert werden. Ein neuer Anstrich hier und hübsch bepflanzte Blumenkästen dort konnten nicht mehr verbergen, dass überall die Trockenfäule saß, die Dachrinnen sich lösten und die Verandastufen durchhingen.
    Und jedes Jahr kam etwas Neues dazu. Entweder leckte das Dach, oder ein Boiler gab seinen Geist auf. Bitter starrte Frankie zur Decke hinauf, wo durch das fußballgroße Loch marode Leitungen zu sehen waren. Dieses Jahr war es dann wohl die Installation.
    Sie knüllte den durchnässten Computerausdruck zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Mutlos zupfte sie sich Gipsbröckchen aus dem Haar. Nicht nur das Haus wurde immer älter und weniger anziehend – auch vor ihr machte die Zeit nicht halt. Mit einunddreißig fühlte sie sich an den meisten Tagen wie Mitte fünfzig. Seit zehn Jahren arbeitete sie nun schon sieben Tage die Woche. Wann war sie das letzte Mal beim Friseur gewesen? Oder shoppen? Ihre Fingernägel brachen ständig ab, die Brille war ein Kassengestell, und sie lebte von Kaffee und Brot, weil ihr die Zeit für richtiges Essen fehlte.
    Mit lustlosen Bewegungen machte sie sich ans Aufräumen.
    “Frankie?”
    Das war Joy, ihre Schwester. Frankie musste sich schwer zusammennehmen, um nicht zu brüllen:
Frag jetzt nicht, ob alles okay ist!
    “Ist alles okay?”
    Seufzend schloss sie die Augen. “Ja, alles bestens.”
    Eine Weile blieb es still. Frankie stellte sich vor, wie Joy vor der Tür
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