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Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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1
    Ihr Name war Emily Anne. Sie war neun Jahre alt, hatte schwarze Locken, lange Wimpern und eine karamellfarbene Haut. Ihre Ohren waren von winzigen goldenen Ringen durchlöchert. Ihre Stirn war durchlöchert von zwei Kugeln aus einer Cobray 9-mm-Halbautomatik.
     
    Es war Samstag, und ich arbeitete, weil mein Chef, Pierre LaManche, mich extra darum gebeten hatte. Seit vier Stunden stand ich im Labor und sortierte Gewebefetzen, als die Tür des großen Autopsiesaals aufging und Sergeant-Detective Luc Claudel hereinmarschiert kam.
    Claudel und ich hatten schon öfter zusammengearbeitet, und obwohl er mich inzwischen tolerierte, ja vielleicht sogar schätzte, war das an seiner barschen Art nicht zu erkennen.
    »Wo ist LaManche?«, fragte er, warf einen kurzen Blick auf den Untersuchungstisch vor mir und wandte sich dann schnell wieder ab.
    Ich sagte nichts. Wenn Claudel schlechte Laune hatte, ignorierte ich ihn einfach.
    »Ist Dr. LaManche schon angekommen?« Der Detective vermied es, meine schmierigen Handschuhe anzusehen.
    »Heute ist Samstag, Monsieur Claudel. Er arbeitet ni–«
    In diesem Augenblick streckte Michel Charbonneau den Kopf zur Tür herein. Durch den Spalt konnte ich das Surren und Scheppern der elektrischen Tür im hinteren Teil des Gebäudes hören.
    »Le cadavre est arrivé«, sagte Charbonneau zu seinem Partner.
    Cadavre? Was für eine Leiche? Was hatten zwei Detectives der Mordkommission an einem Samstagnachmittag im Leichenschauhaus zu suchen?
    Charbonneau begrüßte mich auf Englisch. Er war ein großer Mann mit stacheligen Haaren, die ein bisschen an einen Igel erinnerten.
    »Hey, Doc.«
    »Was ist denn los?«, fragte ich, pulte die Handschuhe herunter und zog mir die Maske vom Gesicht.
    Claudel antwortete mit angespanntem Gesicht und Augen, die im grellen Neonlicht freudlos wirkten.
    »Dr. LaManche wird gleich hier sein. Er kann es Ihnen erklären.«
    Schon jetzt glitzerte Schweiß auf seiner Stirn, und sein Mund war zu einer schmalen Linie zusammengekniffen. Claudel hasste Autopsien, und er mied das Leichenschauhaus, wann immer es ging. Ohne ein weiteres Wort zog er die Tür ganz auf und schob sich an seinem Partner vorbei. Charbonneau sah ihm nach und wandte sich dann wieder mir zu.
    »Das ist schwer für ihn. Er hat Kinder.«
    »Kinder?« Ich spürte etwas Kaltes in meiner Brust.
    »Die Heathens haben heute Morgen zugeschlagen. Schon mal was von Richard Marcotte gehört?«
    Der Name kam mir irgendwie bekannt vor.
    »Vielleicht kennen Sie ihn als Araignée. Spinne.« Er bewegte die Finger wie Spinnenbeine. »Klasse Kerl. Und ein gewählter Offizieller der Outlaw Biker, der kriminellen Motorradbanden. Die Spinne ist der Spieß der Vipers, aber heute hatte er einen wirklich schlechten Tag. Als er am Morgen auf dem Weg zum Fitness-Center war, haben die Heathens aus einem fahrenden Auto heraus auf ihn geschossen. Seine werte Begleiterin konnte sich mit einem Sprung in einen Fliederbusch gerade noch retten.«
    Charbonneau fuhr sich durch die Haare und schluckte.
    Ich wartete.
    »Dabei wurde allerdings ein Kind getötet.«
    »O Gott.« Meine Finger umklammerten die Handschuhe.
    »Ein kleines Mädchen. Man brachte die Kleine ins Kinderkrankenhaus von Montreal, aber sie kam nicht durch. Sie ist jetzt unterwegs hierher. Marcotte war bereits tot, als er im Krankenhaus eintraf. Er liegt da draußen.«
    »LaManche kommt?«
    Charbonneau nickte.
    Die fünf Pathologen im Labor wechseln sich mit der Rufbereitschaft ab. Es kommt zwar selten vor, wenn aber einmal eine Autopsie außerhalb der regulären Dienststunden für notwendig erachtet wird, dann ist immer jemand verfügbar. An diesem Tag war LaManche an der Reihe.
    Ein Kind. Ich spürte ein vertrautes Gefühl in mir aufsteigen und musste hier raus.
    Auf meiner Uhr war es zwölf Uhr vierzig. Ich riss mir die Plastikschürze herunter, knüllte sie mit der Maske und den Handschuhen zusammen und warf alles in den Behälter für biologischen Abfall. Dann wusch ich mir die Hände und fuhr mit dem Aufzug in den zwölften Stock.
    Ich weiß nicht, wie lange ich in meinem Büro saß, auf den St. Lawrence hinunterstarrte und meinen Becher mit Joghurt unberührt ließ. Irgendwann glaubte ich, LaManches Tür zu hören und dann das Zischen der gläsernen Sicherheitstüren, die unseren Flügel unterteilen.
    Als forensische Anthropologin habe ich eine gewisse Immunität gegenüber gewaltsamen Toden entwickelt. Da der ärztliche Leichenbeschauer sich an mich wendet,
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