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Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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wenn er Informationen über die Knochen der Verstümmelten, Verbrannten und Verwesten braucht, habe ich das Schlimmstmögliche gesehen. Meine Arbeitsplätze sind das Leichenschauhaus und der Autopsiesaal, und deshalb weiß ich, wie eine Leiche aussieht und riecht, wie es sich anfühlt, wenn man sie betastet oder mit einem Skalpell aufschneidet. Ich bin gewöhnt an blutige Kleidung, die auf Ständern trocknet, an das Geräusch einer Stryker-Säge, die durch Knochen schneidet, an den Anblick von Organen, die in numerierten Glasbehältern schwimmen.
    Aber der Anblick toter Kinder bringt mich immer noch aus der Fassung. Der zu Tode geschüttelte Säugling, das erschlagene Kleinkind, das kaum zehnjährige Opfer eines gewalttätigen Pädophilen. Gewaltverbrechen an jungen, unschuldigen Opfern erzürnen und bestürzen mich noch immer.
    Vor noch nicht allzu langer Zeit arbeitete ich an einem Fall, in dem es um Kleinkinder ging, Zwillingsjungen, die getötet und verstümmelt worden waren. Es war eine der schwierigsten Erfahrungen in meiner Karriere gewesen, und auf dieses Karussell der Gefühle wollte ich nicht noch einmal aufsteigen.
    Andererseits war dieser Fall aber auch eine Quelle der Befriedigung gewesen. Nachdem der fanatische Täter eingesperrt war und keine Hinrichtungen mehr befehlen konnte, hatte ich wirklich das Gefühl, etwas Gutes vollbracht zu haben.
    Ich riss den Deckel vom Becher ab und rührte den Joghurt um.
    Bilder dieser Kinder gingen mir durch den Kopf. Ich erinnerte mich an meine Gefühle an diesem Tag im Leichenschauhaus, an die plötzlich aufblitzenden Erinnerungen an meine Tochter als Kleinkind.
    Mein Gott, warum ein solcher Wahnsinn? Die verstümmelten Männer, die ich unten zurückgelassen hatte, waren ebenfalls Opfer des gegenwärtigen Biker-Kriegs.
    Nicht verzweifeln, Brennan. Du musst wütend werden. Wütend auf eine kalte, entschlossene Art. Und dann benutze dein Wissen und deine Fähigkeiten, um diese Schweinehunde hinter Gitter zu bringen.
    »Ja«, stimmte ich mir laut zu.
    Ich aß meinen Joghurt, trank meinen Kaffee aus und fuhr nach unten.
     
    Charbonneau war im Vorzimmer von einem der kleineren Autopsieräume und blätterte in seinem Spiralblock. Der Plastikstuhl, auf dem er saß, wirkte viel zu klein für seinen großen Körper. Claudel war nirgendwo zu sehen.
    »Wie heißt sie?«
    »Emily Anne Toussaint. Sie war unterwegs zur Ballettstunde.«
    »Wo?«
    »Auf der Verdun.« Er nickte in Richtung des angrenzenden Raums. »LaManche hat mit der Autopsie schon angefangen.«
    Ich ging an dem Detective vorbei in den Autopsieraum.
    Ein Fotograf machte eben Bilder, während der Pathologe sich Notizen machte und zur Sicherheit Polaroids schoss.
    Ich sah zu, wie LaManche eine Kamera bei den Seitengriffen fasste und sie über die Leiche hob und senkte, um sie zu fokussieren. Nachdem er die Linse über einer der Wunden in der Stirn des Kindes scharf gestellt hatte, drückte er auf den Auslöser. Ein weißes Rechteck glitt heraus, LaManche zog es ganz aus dem Apparat und legte es zu den anderen auf einen Beistelltisch.
    Emily Annes Leiche zeigte Spuren der intensiven Bemühungen, ihr Leben zu retten. Ihr Kopf war zum Teil bandagiert, aber ich konnte einen transparenten Schlauch sehen, der aus ihrem Schädel herausragte und den man ihr eingesetzt hatte, um den Druck im Schädelinneren zu kontrollieren. Außerdem hatten ihr die Ärzte einen Trachealtubus über den Mund tief in die Luftröhre eingeführt, um die Lunge mit Sauerstoff zu versorgen und Erbrechen und die Aspiration des Mageninhalts zu verhindern. Kanülen für intravenöse Infusionen steckten noch in ihren Hals-, Leisten- und Oberschenkelgefäßen. Auf ihrer Brust klebten die weißen Ringe für die EKG-Elektroden.
    So eine hektische Intervention, fast wie ein Überfall. Ich schloss die Augen und spürte Tränen auf der Innenseite meiner Lider brennen.
    Dann zwang ich mich, die kleine Leiche wieder anzusehen. Emily Anne trug nichts als ein Identifikationsarmband aus Plastik. Neben ihr lagen ein hellgrüner Krankenhauskittel, ein Bündel Kleider, ein pinkfarbener Rucksack und knöchelhohe rote Turnschuhe.
    Das grelle Neonlicht. Polierter Stahl und glänzende Fliesen. Die kalten, sterilen chirurgischen Instrumente. Ein kleines Mädchen gehörte nicht hierher.
    Als ich hochsah, traf LaManches trauriger Blick den meinen. Obwohl keiner von uns etwas zu dem sagte, was da auf dem rostfreien Stahl lag, wusste ich, was er dachte. Noch ein Kind. Noch
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