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Lasse

Lasse

Titel: Lasse
Autoren: Katrin Bongard
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Es gibt Tage, an die ich mich ungern erinnere, aber dieser Tag gehört nicht dazu, obwohl er schlecht anfing und katastrophal endete. Im Grunde war auch alles dazwischen ein einziges Chaos, typisch für mich und die Zeit damals, ich stand andauernd wie neben mir. Aber dieser Tag wird immer ein besonderer sein, denn an diesem Tag habe ich sie getroffen. Und die Momente mit ihr waren echt. Das war es, was mir als erstes auffiel. Wie intensiv sich alles mit ihr anfühlte.

    1     Ich lag auf dem Bett in einem Hotelzimmer in München und hatte die Vorhänge zugezogen, obwohl draußen die Sonne schien. Am liebsten hätte ich geschlafen bis die Filmpremiere begann. Alles ging mir auf die Nerven. Hatte ich das denn schon immer gehasst? Den roten Teppich, die Fotografen, das Schauspielern? Nein . Den roten Teppich, die ganze Aufmerksamkeit - vielleicht. Aber nicht das Schauspielern.
    Ich konnte mich noch genau an meinen ersten Tag an einem Filmset erinnern. Damals war ich ungefähr sechs. Mein Vater drehte in Hamburg und Ole hatte eine kleine Rolle, er spielte den Sohn des Hauptdarstellers. Damals dachte ich natürlich, er hätte eine sehr große Rolle und dass mein Vater der berühmteste Regisseur aller Zeiten wäre. Ein Gott. Er hatte einen eigenen Stuhl mit seinem Namen darauf, eine Assistentin, die ihm Kaffee brachte und alle, wirklich alle am Set gehorchten ihm. Selbst meine Mutter, was eigentlich nicht möglich war. Ganz klar, mächtiger konnte man nicht sein. Und ich war vollkommen fasziniert davon, was in diesem Universum alles möglich war. Ein Praktikant führte mich herum und zeigte mir das Set. Die Wohnwagen, in denen die Schauspieler in den Pausen warteten, den Cateringwagen, an dem ich einen Kakao bekam, den Maskenbus, wo eine Maskenbildnerin mir einen Schnurrbart anklebte. Es war einfach das Paradies. Wie ein großer Spielplatz. In einer Drehpause durfte ich durch die Kamera schauen. Sie war auf einen Steiger gebaut und lag wie ein abgeschlagener Drachenkopf am Boden. Der Kameramann fragte mich, ob ich mal hochfahren wollte. Natürlich! Er setzte sich auf seinen Kamerastuhl, nahm mich auf den Schoß und wir fuhren ganz langsam hoch. Weit nach oben. Ole war natürlich eifersüchtig. Kein schlechtes Gefühl. Endlich beneidete er mich einmal um etwas.
    Immer, wenn ich mich daran erinnere, an das nach oben Gleiten, die Menschen, die unter uns immer kleiner wurden, die Wohnwagen, die auf einmal wie Spielautos aussahen, das Gefühl in meiner Brust - eine Mischung aus Angst und Euphorie - weiß ich wieder, warum ich immer an ein Filmset wollte. Um dieses Gefühl zu spüren, dass alles möglich ist, und ich mich in alles und jeden verwandeln kann.
    Doch in diesem Hotelzimmer war ich gerade nur Lasse, für den jeder ein Etikett hatte: Nachwuchsstar, Ausnahmeschauspieler, Hoffnung des schwedischen Films . Wenn die schwedische Presse es gut mit mir meinte. Sonst auch gerne: Kiffer, Partygänger, Verführer oder Bruder von Ole Paulsen , was wahlweise ganz negativ oder ganz positiv gemeint sein konnte.
    Das waren eindeutig zu graue Gedanken. Es war keine gute Idee gewesen, mich allein auf das Hotelbett zu legen. Überhaupt: allein! Wo waren denn jetzt die ganzen Mädchen, von denen die Presse immer schrieb? Nicht, dass ich Lust darauf gehabt hätte, diese Stimmung mit irgendjemandem zu teilen. Oder vielleicht doch. Am liebsten mit jemanden, der mich nicht ausfragte. Bloß nicht. Sich nicht nach meinem Bruder erkundigte, nach den anderen Schauspielern, den Filmen, dem Tratsch und Klatsch. Sondern mit jemandem, der jetzt einfach mit geschlossenen Augen mit mir atmen würde. Okay, ein Mädchen. Aber eines, dem es egal war, dass es gleich mit mir über den roten Teppich gehen müsste, oder es sogar noch nicht mal wollte. Wir könnten ja auch hier bleiben ...
    Ich hörte Ole lachen. Irgendwo weit hinten in meinem Kopf. Natürlich. Er dachte, dass ich Mädchen bräuchte, um mich gut zu fühlen und einen Joint und Alkohol, um mich wieder runter zu bringen. Dass ich wie er wäre. Aber das stimmte nicht.
    Erschöpft stand ich auf, zog die Vorhänge zurück und wartete darauf, dass das Licht mich wieder auftankte. Mit guter Laune, mit Leben, mit der Lust auf Leute, die ich brauchte, um diesen Abend zu überstehen, nein: zu genießen.
    Als ich im Bad stand, um mich fertig zu machen, zu rasieren, obwohl da nicht viel Bart war, rief meine Mutter an. Sie hat ein Radarsystem, mit dem sie auch aus der größten Entfernung meine
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