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Lasse

Lasse

Titel: Lasse
Autoren: Katrin Bongard
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grinste. »Weil ich das besser kann?«
    Gerion wollte mich gegen die Schulter schlagen, aber ich wich aus und wir beide rempelten fast einen der Kellner um, der mit einem Tablett Sektgläser vorbeikam. Ich griff mir zwei Gläser.
    »Done!«
    »Dann such mal einen Tisch!«, sagte Gerion, während er sich zum Buffet durchkämpfte.
    Ich sah mich um, aber alle Tische und sogar die Fensterbänke waren umlagert. Ich überlegte, wieder zurück in die Halle zu gehen und uns dort einen Platz auf der Treppe zu suchen, aber blieb dann nur in der Menge stehen und wartete. Schauspieler sind das Warten gewöhnt, ich war das Warten gewöhnt. Am Set, in den Drehpausen, der ganze Job war mehr Warten als irgendetwas anderes. Andererseits hatte ich gelernt, damit umzugehen. Zwangsläufig. Der Trick war, die Wartezeit mit genau der richtigen Aktivität auszufüllen. Und hier, in diesem Augenblick, war das interessanteste, Menschen zu beobachten. Nicht nur Mädchen. Den selbstgefälligen Typen zum Beispiel, der zwei Frauen von irgendetwas erzählte, seinem neuen Film oder Drehbuch, der alternde Filmstar, der sich einsam an einem der Stehtische betrank oder die Kellner, denen man ansah, dass sie nur darauf warteten, dass ihre Schicht endlich zu Ende war. Die kleinen Gesten. Die Art, wie jemand sich durch die Haare fuhr, weil er geschmeichelt war oder verlegen. Das alles war Material, was ich vielleicht irgendwann mal brauchen könnte, wenn ich bessere Rollen bekam. Ich nippte an einem der Sektgläser.
    »Lasse Paulsen?«
    Ich drehte mich um und sah eine Frau in einem schwarzen, langen Kleid, die mich auf seltsame Art an die böse Königin in Disneys Cinderella erinnerte. Ihr breites Lächeln und die dunklen Haare. Außerdem war sie extrem selbstbewusst.
    »Ja?«
    Da sie mir keine Hand reichen konnte, weil ich noch die beiden Gläser hielt, klopfte sie mir freundlich auf den Oberarm. Mir dämmerte es: das war die Gastgeberin. Das war Nora.
    »Schön, dass du gekommen bist. Warst du bei der Premiere? Wie gefiel dir der Film?«
    Sie redete einfach drauf los, als würden wir uns schon lange kennen, aber das war normal im Filmgeschäft. Man kannte niemanden und alle. Und zum Glück musste ich nicht lügen, der Film hatte mir gefallen. Innerlich beglückwünschte ich mich schon dazu, dass morgen alles sehr gut für mich laufen würde. Dass Nora mir überhaupt Zeit und Aufmerksamkeit schenkte, war schon ein gutes Zeichen.
    Als nette Gastgerberin ging sie resolut an einen der Stehtische, wo zwei Männer höflich Platz machten und winkte mich hinterher. Ich wollte die Gläser abstellen, entschloss mich dann aber spontan, ihr eines anzubieten.
    »Wir sollten auf den Film anstoßen!«
    Sie griff zögernd zu und ich wusste, was sie dachte:
    Wessen Glas ist das?
    Darum erzählte ich vom Ching, Chang, Chong mit Gerion, übertrieb maßlos und sagte, dass er vermutlich erst in einer Stunde wieder auftauchen würde, weil das Buffet so beliebt war. Ganz klar schmeichelte ich ihr und schauspielerte ihr gleichzeitig schon etwas vor, als wäre ich in einem Casting.
    »Wir sehen dich ja morgen?!«, sagte sie prompt.
    Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich entschied mich, etwas zu riskieren.
    »Ja. Ist es eigentlich ein Casting?«
    Sie sagte nichts, stattdessen lächelte sie leicht und hielt das Glas hoch, da wir immer noch nicht angestoßen hatten.
    »Auf den Film und weitere schöne Projekte.«
    Ich lächelte zurück. Für Nora war ich vermutlich nur ein kleiner Junge, aber vielleicht machte es gerade deshalb Spaß, mit ihr zu flirten. Es war fast ein Reflex, gar nicht so sehr, weil sie attraktiv war, sondern weil es dazu gehörte. Sie war die Gastgeberin und ich der charmante Gast und es fiel mir leicht. Ja, natürlich. Das war meine Rolle.
    Ich trank einen Schluck und sah Gerion, der mit zwei beladenen Tellern durch die Menge manövrierte. In Sekundenschnelle scannte er die Situation, sein Sektglas in Noras Hand, mein breites Lächeln und ich zuckte leicht mit den Achseln, um mich einerseits zu entschuldigen, andererseits zu zeigen, dass ich einfach von ihr überfallen worden war. Und weil er mein bester Freund und Kumpel war, verstand er mich sofort.
    Wenn Nora bis zu diesem Zeitpunkt an meiner Story gezweifelt hatte und nun überrascht war, dass kein Mädchen auftauchte, dann zeigte sie es nicht. Sie begrüßte Gerion und mir fiel auf, dass sie Respekt vor ihm hatte. Wie die meisten. Wir waren gleich alt und etwa gleich groß, aber vor ihm
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