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LaNague 05 - Der Tery

LaNague 05 - Der Tery

Titel: LaNague 05 - Der Tery
Autoren: F. Paul Wilson
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angetrieben, als er, sich im Schatten haltend, durch die engen, schlechtbeleuchteten Gassen eilte. Er hatte das Gefühl, daß durch den Tod Genthrens alles wieder in Ordnung käme – die Sonne würde leichter ihre Bahn über den Himmel ziehen, der Wind würde reiner wehen, die Welt würde hellere Tage erleben. Genthren war ein Schandfleck, der die gesamte Schöpfung verunzierte, eine Störung, die beseitigt werden mußte. Nur dann … nur dann wäre alles wieder so, wie es die Harmonie der Natur verlangte. Das Ende Genthrens verzehrte ihn, nahm Besitz von ihm, entflammte ihn …
    Vor ihm lag das rote Gebäude. Jon mußte einen Umweg durch drei rückwärtige Alleen machen, um ein Zusammentreffen mit den dienstfreien Soldaten, die den weiten Platz davor bevölkerten, zu vermeiden. Als er das Gebäude erreicht hatte, schlich er von Fenster zu Fenster, lauschte auf die Stimmen und warf einen Blick auf die Gesichter, wenn er es wagen konnte. Er entdeckte den Hauptmann in einem Eckzimmer. Er saß auf seinem Feldbett. Eine Frau stand vor ihm.
    »Erst zahlen«, sagte sie kichernd. »So haben wir es ausgemacht.«
    »Ich könnte dich verhaften lassen, weil du nach Sonnenuntergang noch in der Festung bist«, sagte Genthren mit mutwilligem Lächeln und griff in die Geldbörse, die an seinem Gürtel hing.
    »Für solche wie mich wurde schon lange bevor du jemals hergekommen bist, eine Ausnahme gemacht.«
    Das restliche Mobiliar des Zimmers bestand aus einem Tisch, einer Lampe und einem niedrigen hölzernen Stuhl. Die Tür zur Linken war verschlossen und verriegelt.
    Jon war durch das Fenster geschlüpft und stand mitten in dem winzigen Raum, bevor das Paar ihn auch nur wahrnahm. Genthren sprang auf die Füße, und das Mädchen begann zu schreien, doch Jon war schneller als die beiden. Mit einer einzigen Bewegung stieß er das Mädchen in eine Ecke des Raums, wo sie sich vor Schreck betäubt und nach Atem ringend zusammenkauerte, und riß den nach dem Schwert greifenden Arm des Hauptmanns vom Knauf der Waffe weg. Dann legte er die Finger seiner rechten Hand um die Kehle des Mannes, hob ihn hoch und ließ ihn so hängen.
    »Sieh mich an!« sagte Jon mit einem leisen Knurren, sein Gesicht eine Handbreit von dem des Hauptmanns entfernt. Er schien von einem blutigen Dunstkreis umgeben, der die Bevölkerung der Erde auf zwei Menschen zusammenschrumpfen ließ, auf ihn und den Hauptmann, die in einem ewig währenden Kampf aneinandergeschmiedet waren. Nichts anderes existierte in diesem Moment, nichts anderes war wichtig. Er spürte in seinem Körper die Pfeile, die seinen Vater getötet hatten, er spürte an seiner Kehle den Biß der Klinge, die seiner Mutter Lebensfaden durchschnitten hatte. Nach diesem Augenblick hatte er gedürstet.
    »Erkennst du mich?« fragte er zischend in das entsetzte Gesicht des Hauptmanns hinein. Dessen Lippen gingen auf und zu, aber er bekam kein Wort heraus. Er schüttelte den Kopf: nein, er konnte sich beim besten Willen nicht an diese Bestie erinnern, die ihn an der Kehle gepackt hielt.
    »Erinnerst du dich an die zwei Terys, die du bei einer Höhle getötet hast, als du für Kitru arbeitetest?« fragte Jon. Es kam ihm darauf an, daß Genthren sich erinnerte. Er sollte wissen, warum er sterben mußte. »Deine Bogenschützen haben den Mann getötet, und der Frau wurde durch einen Schwerthieb beinahe der Kopf abgetrennt – weißt du noch?« Immer noch kein Zeichen des Erkennens in den Augen des Hauptmanns. »Und ihr Sohn, der junge Tery, der euch mit einer Keule angriff – weißt du noch, was du ihm angetan hast? Weißt du noch, wie du und deine Männer ihn gejagt und sein Fleisch zerfetzt haben, bis er zu Boden sank? Weißt du noch, wie ihr ihn im Glauben, er sei tot, liegengelassen habt?«
    In seinem rechten Augenwinkel nahm Jon eine Bewegung wahr. Das Mädchen, das sich immer noch in die Ecke duckte, raffte sich verstohlen auf. Er kümmerte sich nicht um sie, sondern hielt Genthrens Gesicht so nahe vor das eigene, daß sich ihre Nasen beinahe berührten. »Er war aber nicht tot!«
    Die Erinnerung sprang Genthren an. Man konnte es in seinen Augen sehen. Grauen und Todesangst vor einem langsamen, qualvollen Ende verstärkten noch das Entsetzen, das bereits seine Züge verzerrte. Und noch etwas zeichnete sich in ihnen ab: eine Art ungläubigen Zweifels, daß dies alles in Wirklichkeit geschah. Doch es konnte keinen Zweifel geben, daß die Gestalt vor ihm und das Zusammenquetschen seiner Luftröhre real
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