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Krock & Co.

Krock & Co.

Titel: Krock & Co.
Autoren: Friedrich Glauser
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nickte lange. Dann hob sich seine Hand, die einem Meerkrebs mit bleichem Kalkpanzer glich, sie hob sich und deutete in den Hintergrund, auf die Türe zum Nebenzimmer, wo die Saaltochter Ottilia Buffatto neben dem Bürofräulein Martha Loppacher saß…
    »Gegen Abend«, sagte Rechsteiner, und er sprach keuchend und rasselnd – Studer mußte an eine Baggermaschine denken, wie man sie braucht, um versandete Häfen und Flüsse zu reinigen – in ihren riesigen Schöpfern fördern sie alles mögliche zutage: Sand, Unrat und bisweilen Muscheln, deren Außenseite unansehnlich ist, aber innen glänzt und schimmert in allen Regenbogenfarben, der Perlmutter. – »Gegen Abend hat sich das Anni (vorsichtig und zart sprach der Wirt den Namen seiner Frau aus) stets hingelegt. Da bin ich aufgestanden und hab' das Schächteli genommen. Hier«, sagte er und zog die Schublade des Nachttisches auf, »hab' ich einen Spritkocher. Und hier einen Eisenlöffel. Und leere Fläschli gibt's genug bei mir…«, er versuchte zu lachen, aber es kam nur ein Krächzen aus seinem Hals, das in einen breiigen Husten überging, »ich hab' die Kügeli nach und nach in den mit Wasser gefüllten Löffel getan und über der Flamme erhitzt. Dann die Lösung ins Fläschlein geleert. Bin hinuntergeschlichen – durch Annis Zimmer. ›Schenk Wermut ein!‹ hab' ich dem Otti befohlen. ›Wo sitzt der Krock?‹ hab' ich gefragt. Sie hat mir den Platz gezeigt. Da hab' ich den Inhalt des Fläschlis ins Glas geleert, das Otti hat den Wermut nachgefüllt. Aber das Meitschi hat mich betrogen! Betrogen! Nicht dir galt es, Studer! Sicher nicht dir! Sondern dem Hundsfott, dem Krock!«
    Erschöpft schwieg er still.
    »Ich weiß, Rechsteiner«, sagte Studer. »Ihr habt gutmachen wollen. Und die anderen haben nicht gewollt.«
    »Woher, wo… woher weißt du das, Studer?«
    Der Wachtmeister zog eine Photographie aus der Tasche. Sie sah aus wie ein Dokument, das uralt ist, gebleicht von der Sonne, vom Wind, auch im Regen ist es gelegen – aber dennoch, wenn man sich Mühe gibt, läßt es sich entziffern. Ein paar Worte fehlten, aber der Sinn ließ sich ohne weiteres erraten.
    ».aß..r.echst.iner..denkt, alle S.hulds…e, ie .r hat unterschreiben .asse. zu ..rnichten .nd .r sich z. d.ese. .we.k mit ..r Be.ö.de i. V.rbi..ung setzen ..ll.«
    »Daß der Rechsteiner bedenkt, alle Schuldscheine, die er hat unterschreiben lassen, zu vernichten und er sich zu diesem Zweck mit der Behörde in Verbindung setzen will.«
    Studer las es laut vor und fragte hinüber zur Türe, ob es richtig sei.
    Martha Loppacher nickte.
    Am letzten Dienstag habe sie das geschrieben. Aber zwischen Dienstag und Samstag läge eine Ewigkeit…
    »Ewigkeit!« Studer lächelte. »Die Ewigkeit bestand darin, daß sich in dieser Zeit das gute Marthi in ›de suuber Feger, de Grofe-n-Ernscht‹ (Studer versuchte dies im Appenzeller Dialekt zu sagen, aber es mißriet ihm so vollkommen, daß alle, trotz des sterbenden Mannes, lachen mußten – übrigens lachte auch der Rechsteiner mit) verliebt hat«, beendete Studer den Satz, nachdem das Gelächter sich gelegt hatte.
    Die Stimmung im Zimmer war sehr merkwürdig. Es hatte gar nicht den Anschein, als werde die Aufklärung eines Doppelmordes verhandelt – es schien eher, als sei man zusammengekommen, um sich Märli z'verzelle. Und Studer gab sich Mühe, diese Stimmung aufrechtzuerhalten.
    »Um alles zu verstehen, müßte man von vorne beginnen«, sagte er, legte die Ellbogen auf die gespreizten Schenkel und faltete die Hände. Seine Daumennägel interessierten ihn ungemein – darum hob er den Blick nicht.
    »Ein Mann verläßt seine Heimat, damals, als nach vier Jahren Krieg endlich der Frieden geschlossen wurde. Er geht nach Deutschland. In der Schweiz hat er in Hotels geschafft, zuerst als Chasseur, dann als Etagenkellner – und zum Schluß hat man ihm erlaubt, an der Table d'hôte zu servieren. Er geht nach Deutschland, denn er denkt ganz richtig, daß in diesem ausgehungerten Land, das zum Teil von fremden Truppen besetzt ist, ein Rückschlag auf das Elendsleben während des Krieges folgen wird. Er geht aber nicht etwa nach Berlin, sondern nach Mannheim. Die Pfalz ist besetzt, auch Ludwigshafen – wahrscheinlich werden die fremden Offiziere nach Mannheim kommen. Er findet eine Stellung als Maitre d'hôtel im Kaiserhof. Dort lernt er das Nachkriegsleben kennen: deutsche Bankiers, französische, amerikanische. Mit einem Franzosen freundet er sich
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