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Krock & Co.

Krock & Co.

Titel: Krock & Co.
Autoren: Friedrich Glauser
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Warum war man nachgiebig gewesen? Warum hatte man Frau und Tochter den Willen gelassen? Jetzt stand man da und sollte womöglich die Verantwortung auf sich nehmen, weil man eigenmächtig gehandelt hatte und die Leiche nicht im Gärtlein geblieben war, hinterm Haus, dort, wo sie aufgefunden worden war…
    Der Tote lag auf dem weißgescheuerten Tisch im Vorkeller des Hotels zum Hirschen, und über das helle Holz schlängelte sich ein schmaler Streifen Blut. Langsam fielen die Tropfen auf den Zementboden – es klang wie das Ticken einer altersmüden Wanduhr.
    Der Tote: Ein junger Mann, sehr groß, sehr schlank, bekleidet mit einem dunkelblauen Polohemd, aus dessen kurzen Ärmeln die Arme ragten, lang und blond behaart, während die Beine in hellgrauen Flanellhosen steckten.
    Und neben seinem Kopfe lag das Mordinstrument. Kein Messer, kein Revolver… Eine ungewöhnliche, eine noch nie gesehene Waffe: die Speiche eines Velorades, an einem Ende spitz zugefeilt. Sie war nicht leicht zu entdecken gewesen, denn sie hatte im Körper des Toten gesteckt und kaum aus der Haut herausgeragt. Erst als Studer mit der flachen Hand über den Rücken der Leiche gefahren war, hatte er sie fühlen können. Fast senkrecht war sie in den Körper gestoßen worden, dicht unter dem linken Schulterblatt, und nirgends herausgekommen – weder an der Brust noch am Bauch. Wie viele lebenswichtige Organe dieser Spieß durchbohrt hatte, würde der Arzt erst bei der Leichenöffnung feststellen können…
    So wenig ragte das stumpfe Ende aus dem Rücken heraus, daß es eine Zange gebraucht hatte, um die Mordwaffe aus der Wunde zu ziehen.
    Doch – um eine erste Frage aufzuwerfen – wie war der Mörder mit diesem Spieß umgegangen? Es mußte doch ein Griff vorhanden gewesen sein – im Augenblick, da der Stich ausgeführt worden war. Hatte man ihn abgeschraubt? Nachher? Es schien fast so, denn eine kaum sichtbare, spiralig verlaufende Linie war in den stumpfen Teil eingeschnitten… Mechanikerarbeit, ohne Zweifel!
    Wachtmeister Studer, von der Berner Fahndungspolizei, hätte ums Leben gerne eine Brissago angezündet, aber das ging nicht an, hier, gerade neben dem Toten. So blieb nichts anderes übrig, als hin und her zu laufen im schmalen und kurzen Raum, den eine Birne, baumelnd an einem staubigen Draht, mit einem grausam hellen Licht überschüttete. Und dazu dem Albert Vorträge zu halten…
    Jedes dieser Selbstgespräche begann mit der Feststellung:
    »Lue Bärtu! Worum, zum Tüüfu, hei mr uff d'Wybervölcher g'lost!«
    Albert Guhl, ein kräftiger, breitschultriger Bursche, siebenundzwanzigjährig, Korporal an der Thurgauer Kantonspolizei und in Arbon stationiert, hatte heute Studers Tochter geheiratet.
    – Hätte man, fuhr der Berner Wachtmeister zu fragen fort, die Hochzeit nicht gerade so gut in Bern feiern können? Nein, es hatte müssen durchgestiert werden, daß sie in Arbon stattfand. »Weil deine Mutter eine alte Frau ist und sich vor dem Reisen fürchtet? Gut, das ist ein Grund! Ein stichhaltiger?«
    Albert Guhl schwieg. Und Studer hob seine mächtigen Schultern – die Hände machten die Bewegung mit und fielen dann klatschend gegen seine Oberschenkel…
    »Und jetz?« fragte er weiter. Langsam näherte er sich dem Tisch, bückte sich und sah dem Toten ins Gesicht…
    Ein unangenehmes Gesicht! Die Nase lang und gebogen, wie ein Geierschnabel, zwei Furchen gruben sich ein von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln, die fleischigen Lippen waren geschürzt, entblößten die Zähne – und es sah aus, als lächle der Tote mit all seinen Goldplomben. Und der Blick, bevor dem Toten die Augen zugedrückt worden waren! Studer erinnerte sich an ihn: geladen mit Hohn, im Tode noch!
    Sah es nicht aus, als wolle sich der Ermordete lustig machen über die Überlebenden? Kaum hatte der Wachtmeister diese Frage gedacht, stellte er sie laut. Und Albert, der Schwiegersohn, nickte, nickte – aber er tat den Mund nicht auf.
    Ob er das Reden verlernt habe, wollte Studer wissen.
    Albert sah auf, schüttelte den Kopf und dann sagte er, bescheiden, ohne jeglichen Vorwurf:
    »Wir hätten ihn liegenlassen sollen, Vatter.«
    »Liegenlassen!… Liegenlassen!…« Studer ahmte gehässig den Tonfall des Jungen nach. »Liegenlassen! Damit die Bauern vom Dorf den Boden vertrampeln? Hä? Damit man gar keine Spuren mehr findet? Hä?«
    »Spuren!« meinte Albert leise, mit viel versöhnlichem Respekt, der dem Wachtmeister wohltat. »Ich glaub, Vatter, daß man auf
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