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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein
Autoren: Mary Mackey
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Ziegenfleisch die Luft erfüllte, rannten die Kinder wie wild zwischen den Feuern umher, saugten dabei an Stücken von Honigwaben und lachten vergnügt. Gekochte Enteneier gefüllt mit wilden Kräutern lagen neben Körben mit getrockneten Früchten, Stapeln von mondförmigen Käsen und übervollen Schläuchen mit Wein oder frischer Milch.
    Inanna nahm eine kleine Handvoll getrockneter Heidelbeeren und wanderte zum Rand des Lagers, um dort allein zu sein, Pulal und Enshagag würden sie kaum vermissen, solange noch Wein in den Beuteln und Schläuchen war. Jenseits der letzten Zeltreihe blieb Inanna stehen und atmete tief durch, aber das bedrückende Gefühl wollte nicht von ihr weichen. Ihre Misere war zu groß geworden, um sich überhaupt noch bewegen zu lassen. Der Weg führte steil und gerade nach oben und knickte dann scharf ab. Inanna trottete ziellos weiter, trat gelegentlich ein Häufchen weißer Asche hoch und sah zu, wie die Flocken auf ihre nackten Füße hinuntersanken. An einer Stelle setzte sie sich hin und sah aufs Lager. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Zelte auf einem Fleck gesehen zu haben. Normalerweise hätte es sie erregt zu sehen, wie sie sich bis zum Horizont erstreckten, aber heute berührte sie dieser Anblick überhaupt nicht. Direkt hinter ihr stand eine Felsreihe, die ihr bis über den Kopf reichte. Die Steine waren vom Vulkan schwarz verbrannt und wie faulende Früchte mit Pocken übersät. Inanna stand wieder auf, ging um die Felsreihe herum und sah dann die Männer.
    Sie waren zu sieben und standen in einer Senke, waren vor neugierigen Blicken verborgen, es sei denn, jemand käme hier durch Zufall vorbei, wie das Inanna getan hatte. Das erste, was ihr auffiel, war der Geruch von saurem Wein, und dann sah sie, wie zwei Männer eine junge Frau der Wilden an den Armen festhielten.
    Man hatte ihr einen Lappen in den Mund gestopft, damit sie keinen Laut von sich geben konnte. Das Mädchen wehrte sich verzweifelt.
    Inanna kroch hinter einen Felsen und hielt den Atem an, damit die Männer sie nicht bemerken und ins Lager zurückschicken konnten. Was sie hier sah, war wirklich neu für Inanna. Nie zuvor war ihr eine Frau der Wilden begegnet. Wie häßlich sie war! Die Frau war nackt und ihr merkwürdiges rotes Haar von Asche und Dreck verunstaltet. Am Hals trug sie an einer schmierigen Schnur schmutzige Zähne, und durch eine Wange hatte sie sich ein Stück Knochen gebohrt. Die Frau war klein und mager, so als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nie genug zu essen bekommen, und sie schien kaum älter als Lilith zu sein.
    Plötzlich riß einer der Männer der Frau die Beine weg und legte sich auf sie. Die Wilde wand sich und bäumte sich auf, aber die anderen Männer hielten ihre Arme und Beine fest. Inanna kam das ungerecht vor, so viele gegen eine. Der erste Mann gab einen merkwürdigen Ton von sich, stand auf und strich seinen Umhang wieder glatt. Eine unsichtbare Hand schien Inanna den Magen zusammenzudrücken. Sie drehte sich zur Seite und erbrach sich. Als sie wieder zur Senke sah, lag ein anderer Mann auf der Wilden. Und so ging es schier endlos weiter, wie in einem schlechten Traum. Inanna sah zu und wagte nicht, sich zu rühren, weil die Männer sie sonst womöglich entdeckt hätten. Jeder von den sieben kam an die Reihe, und nach einer Weile wehrte sich die Frau nicht mehr und blieb still liegen. Später sagte sich Inanna, daß sie wohl schon tot gewesen sein mußte, bevor der letzte Mann auf ihr gelegen hatte.
    Nachdem die Männer gegangen waren, blieb Inanna noch lange dort hocken; sie hatte zuviel Angst, ihr Versteck zu verlassen. Die Schatten wurden länger, und die Luft wurde kälter. Inanna zitterte in ihrem dünnen Gewand. Endlich zwang sie sich aufzustehen. In der Senke lag die Wilde auf der Seite, und ein Arm ruhte unter dem Kopf, so als würde sie schlafen. Aber ihre Augen waren vor Entsetzen weit zurückgedreht, und auf ihrer Unterlippe klebte dort, wo sie draufgebissen hatte, überall Blut. Inanna versuchte sich einzureden, daß es ja eigentlich nicht so schlimm gewesen war, weil es sich bei der Frau ja nur um eine Wilde gehandelt hatte, aber als sie in das zornige, entsetzte Gesicht sah, wurde ihr gleich wieder übel.
    Als sie wieder im Zelt war, lag Enshagag dort und erwartete sie. »Wo bist du gewesen?« fuhr die alte Frau sie böse an. »Ich habe überall nach dir gesucht.« Inanna rannte auf sie zu und vergrub den Kopf in Enshagags warmem Bauch. »Ich will
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